Nichts für Weicheier
Space Affairs Expedition Soyuz TMA-13
Die Jagd beginnt um Mitternacht. Vor dem Hotel warten vier Jeeps, in ihrem Scheinwerferlicht schlängeln sich die Fernwärmerohre des putzbröckelnden Reihenhauses gegenüber. Es ist kalt in Kasachstan, in Karaganda, 200 Kilometer südlich der Hauptstadt Astana, herrscht auch am 8.April noch Frost. Doch gezittert wird hier nur vor Aufregung: Werden wir in 13 Stunden die russische Sojus-Kapsel aus dem All fallen sehen?
Noch schweben die Gejagten in 350 Kilometer Höhe durch die „Internationale Raumstation“ (ISS): Kommandant Juri Lontschakow (44), Bordingenieur Michael Fincke (42) und Weltraumtourist Charles Simonyi (60). Während wir mit unseren Jeeps Richtung Südosten 120 Kilometer Steppe pro Stunde hinter uns lassen, sausen die drei Kosmonauten mit 28:000 Kilometern pro Stunde um die Erde – in 90 Minuten einmal rum. Aber heikel wird es erst auf dem Rückweg. Damit zumindest ein Risiko ausgeschlossen werden kann, wurde die Landung der Sojus-Mission TMA 13 um einen Tag verlegt. Denn das ursprüngliche Landegebiet im Norden Kasachstans ist wegen der Schneeschmelze versumpft. Nun soll die Sojus im Süden, zwischen Karaganda und Scheskasgan, landen. Über die Verzögerung wird sich Simonyi freuen – kostet ihn doch der Aufenthalt auf der ISS nun unter drei Millionen Dollar pro Tag, 35 Millionen für zwölf Tage.
Nach sechs Stunden Fahrt verlassen wir die geteerte Straße und halten auf einem von Reif überzogenen Sandplatz. Schichtwechsel am Himmel, die Sonne löst den Vollmond ab, irgendwo dazwischen machen die drei Kosmonauten gerade die Sojus startklar. Links, rechts, vorne, hinten: die verlassene Steppe. Dort oben: die Weiten des Alls. Doch plötzlich tauchen vier blaue Monster auf, riesige Amphibienfahrzeuge der Bodenrettungstruppe. Die Motoren brummen russisch-rustikal, Dachluken öffnen sich, und die 20 Männer des Rettungsteams stellen sich davor auf. Vor den Bremslichtern leuchtet der Rauch ihrer Zigaretten Disco rot. Es wird offiziell: Die Chefs setzen ihre Mützen mit der breiten Krempe auf und richten die Abzeichen ihres Dienstranges.
Als die Amphibienfahrzeuge Gas geben, sind unsere Jeeps nicht mehr zu hören. Vorbei an weißen Salzflecken holpern wir querfeldein zum Landegebiet. Andreas Bergweiler guckt in die aufgehende Sonne, versucht, sich nicht den Kopf am Autodach zu stoßen. Der 44-jährige ehemalige Zeitsoldat ist mit vielen Wassern gewaschen: Kambodscha, Somalia, Bosnien. Heute setzt er sich für den europäischen Raumfahrttourismus ein. Er hat einige Nerven gelassen, um die Tour zur Kapsel zu organisieren, seine innere Anspannung ist noch immer zu spüren: „Wir sind fast da“, murmelt er, „nun bleibt nur noch zu hoffen, dass alles gut geht.“ Falls es zu einer Notlandung kommen sollte, bekämen wir davon nichts mit.
Denn durch den ballistischen Wiedereintritt, wie bei den Missionen TMA1, 10 und 11 geschehen, kann sich das Landegebiet um Hunderte Kilometer verschieben. 1975 landete die Kapsel sogar 80 Kilometer hinter der sowjetischen Grenze in China. Das Problem war die Trennung der drei Module des Sojus-Raumschiffs. Das Service-Modul bremst das Raumschiff bei der Rückkehr ab. Das Orbitalmodul trägt die Nutzlasten. Und kurz vor dem Wiedereintritt in die Atmosphäre werden diese Module von dem Landemodul, also der Kapsel, getrennt und verglühen. Gibt es bei der Trennung Schwierigkeiten oder funktioniert die Steuerungssoftware nicht richtig, stellt das Raumschiff automatisch auf den ballistischen Modus um, und die Kapsel kommt steil herein. Bei einem zu flachen Winkel hopst die Kapsel ähnlich einem Flitschstein auf der Atmosphäre, bevor sie diese durchdringt.
Die Motoren der Amphibienfahrzeuge verstummen, der Wind säuselt im Gestrüpp, eine Zieselmaus flitzt hindurch. Nun heißt es warten. Und hoffen. Daumendrücken allein hilft nicht, also sprechen wir einen minutenlangen Toast auf das Wohlergehen der Kosmonauten und trinken ein russisches Nationalgetränk. Kurz darauf verteilt der Chef des Bodenrettungsteams, Sergej Sergejew, die offiziellen Aufnäher für die Sojus-Mission TMA13 an seine Mannschaft. Zwar ist der 47-Jährige schon seit 15 Jahren dabei, hat über 60 Landungen miterlebt. Doch er sagt: „Jedes Mal gehen wir auf die Jagd, als sei es das erste Mal.“ Im Innern seines Amphibienfahrzeugs zeigt er an der Wand stolz die Unterschriften der Kosmonauten, die er schon chauffiert hat: Gidsenko 2002, Duque 2003 und Simonyi nach seinem ersten Ausflug 2007.
Es ist viertel vor zehn kasachischer Zeit, und während Sergejew noch vom steigenden Adrenalinpegel erzählt, hat Charles Simonyi das Hormon schon im Blut: Er hockt in der Sojus-Kapsel, 350 Kilometer über uns. Zehn Minuten später stoßen Metallfedern das Raumschiff von der ISS ab. Von nun an geht es abwärts: Steuerdüsen lenken die Sojus auf eine tiefere Umlaufbahn, und während sie noch knapp zweimal um die Erde kreist, werden sowohl Sergejew als auch Bergweiler unruhig. Alle müssen in die Amphibienfahrzeuge oder die Autos. „Sicherheitsvorkehrung“, sagt Bergweiler. „Sollte die Kapsel drohen, uns auf den Kopf zu fallen, können wir schneller wegfahren."
Während wir nervös in den Autos sitzen, zündet das Sojus-Raumschiff um 12.24 Uhr die Bremsraketen. Knapp fünf Minuten später trennen sich Service- und Orbitalmodul erfolgreich. Nun rast die Landekapsel auf die Erdatmosphäre zu, in etwa 120 Kilometer Höhe wird es heiß. Alle Systeme arbeiten störungsfrei, beim Wiedereintritt im optimalen Winkel zwischen sechs und sieben Grad bildet sich durch die Reibung ein über 1000 Grad Celsius heißes Plasma – Geschwindigkeit wird in Hitze umgewandelt, der ablative Hitzeschild schmilzt dahin, der Funkkontakt ist unterbrochen. Zwischen drei und vier G wirken auf die Kosmonauten.
Wir steigen aus den Autos und gucken in die gleißende Sonne. Der blaue Himmel ist makellos – bis auf einen kleinen Fleck. „Da!“ Bergweiler schreit nicht, er verharrt in einer Starre der Faszination. Ein doppelter Überschallknall donnert über die Steppe und kündigt die drei Menschen aus dem All mit würdiger Lautstärke an. Die ersten Fallschirme bremsen die Kapsel auf knapp 300 Kilometer pro Stunde ab. Sie liegt schräg im Wind, mit den Rauchfahnen vom Absprengen der Fallschirmdeckel gleicht sie einer Qualle im Meer. Wir blinzeln an der Sonne vorbei, bis die Augen schmerzen, dann öffnet sich der Hauptschirm, und die Sojus-Kapsel schwebt mit 25 Kilometern pro Stunde dem kasachischen Steppenboden entgegen. „Nun ist alles gut“, sagt Bergweiler erleichtert, „nun ist der Hauptschirm offen.“ Und schon steigen am Horizont russische Hubschrauber auf. Zwei von ihnen begleiten die schwebende Kapsel – doch wohin? Etwa hinter die flache Hügelkette?
"Vollgas! Nun schreit Bergweiler doch. Wir preschen durch die Steppe, beim Starren auf die Kapsel stoßen unsere Köpfe an die Fenster. Die kasachische Steppe eignet sich gut als Landegebiet, weil sie groß und leer ist. Doch vor uns liegen ein Bahndamm und eine Straße. Darauf ein Lkw, der Fahrer wird sich wundern: Nur 500 Meter entfernt liegt das kleine, verkohlte Ding, das da gerade vom Himmel gefallen ist, drumherum ein Gewusel von Hubschraubern und Menschen.
20 Meter von der Kapsel entfernt zieht unser Fahrer die Handbremse, und wir laufen zur Absperrung. Ein rot-weiß gestreiftes Plastikband ist keine drei Meter von der Kapsel entfernt gespannt. Und da liegt sie nun – und stinkt. Die dicken, mit Harz verleimten Asbestschichten sind völlig verkohlt. Nur der Unterboden ist unversehrt, hier wurde der ablative Hitzeschild von den Bremsraketen abgesprengt, die die Geschwindigkeit wenige Meter vor dem Aufprall noch einmal auf 7,2 Kilometer pro Stunde gedrosselt haben. Vor der Einweg-Kapsel sitzt schon Kommandant Lontschakow in einem Schaukelstuhl und grinst das Grinsen eines Glückseligen. Wie auch sein Kollege Fincke war er sechs Monate an Bord der ISS. Bald ist auch der aus der nur 3,5 Kubikmeter großen Kapsel befreit, mit Simonyi ist das Trio komplett. Sie sind wohlauf, es war eine Musterlandung. Ärzte tupfen ihnen den Schweiß von der Stirn, messen den Blutdruck, wickeln sie in Decken – und die drei aus dem All grinsen, grinsen, grinsen. Die Jagd nach den Weltraumreisenden hat ein glückliches Ende gefunden.
Dennis Buchmann für "Die Welt" – 17.04.2009 – Soyuz TMA-13 Landung © Original Deutscher veröffentlichter Artikel bei Axel Springer SE.
Im vergangenen Jahr hätte die Landung einer Soyus TMA-11 beinahe mit einer Katastrophe geendet: Die Besatzung wäre fast verbrannt. Die Rückkehr einer Soyus-Kapsel aus dem All ist jedes Mal ein Abenteuer.
Dennis Buchmann hat in Kasachstan die jüngste Landung von drei Kosmonauten erlebt. Sie kündigte sich mit doppeltem Überschallknall an.