Aufbruch ins All
Space Affairs Expedition Soyuz TMA-7
Ein bisschen müde vielleicht, aber mit ungespielter Gelassenheit und lächelnd wie ein Schuljunge, sitzt er da hinter der Glasscheibe, in seinem vakuumdichten Raumanzug, den Helm zurückgeklappt - keinerlei Anzeichen von Anspannung auf seinem 60 Jahre alten Gesicht. Es muss die Freude darüber sein, dem Traum seines Lebens mit jeder verstreichenden Minute ein Stückchen näher zu rücken, die sich damit ein paar beifälligen Blicken auf seine Armbanduhr äußert und seine Gedanken verrät: "Wann geht es denn endlich los?"
In Begleitung zweier erfahrener Kosmonauten, dem Russen Valeri Tokarev und dem Amerikaner William McArthur, will der amerikanische Unternehmer und Millionär Dr. Gregory Olsen in wenigen Stunden als dritter Space Tourist in der Geschichte der Raumfahrt ins All reisen. Bei dieser letzten Pressekonferenz vor dem Start - mit den Journalisten aus Quarantänegründen nur über Mikrofone verbunden - steht er den neugierigen Fragen noch einmal Rede und Antwort.
Dann geht´s raus in die schwarze Nacht von Kasachstan. Der russische Kommandant der Mission, Valeri Tokarev, salutiert vor dem diensthabenden General des Kosmodroms Baikonur, dem größten Weltraumhafen der Welt, und die drei Kosmonauten steigen in den Bus, der sie zur Startrampe bringen wird. Eine halbe Stunde später sitzen sie bereits im Innern ihrer Raumkapsel an der Spitze der 50 Meter hohen Soyuz TMA-7-Rakete. Ihr Ziel ist die Internationale Raumstation, 385 Kilometer über der Erde.
Wir haben uns auf einer kleinen Aussichtstribüne, einem Bretterverschlag mit Wellblechdach positioniert. Mittlerweile ist die Nacht einem milden Morgen gewichen. Von hier sind es keine 2000 Meter zur Rakete, die jetzt taufrisch wie ein Gänseblümchen in den Himmel ragt. So nah kommt man nirgendwo sonst auf der Welt an einen Start heran, heißt es.
Nur noch wenige Minuten. Die Plattform ist nun menschenleer. Alle Techniker befinden sich in unterirdischen Bunkern. Dafür platzt unser Beobachtungsposten aus allen Nähten. Viele Zuschauer sind gekommen: Journalisten, Kameramänner, ehemalige Kosmonauten, russische Offiziere, NASA Mitarbeiter und eine Gruppe amerikanischer Touristen mit Greg Olsen-Jacken. Das Ganze hat schon fast internationalen Volksfestcharakter und auch der Wodka fließt ungeachtet der frühen Morgenstund.
Nur noch wenige Sekunden. Die Versorgungstürme werden zurückgeklappt und verdampfende Treibstoffschwaden ziehen durch das Stahlgerüst. Dann der Countdown: "..., tri, dwa, odin, nol". Die Triebwerke zünden und der mächtige Flugkörper hebt ab. Sofort vereinen sich die Flammen zu einem gleißenden Lichtstrahl und noch bevor das tiefe Donnern zu uns dringt ist die schon einige Meter über unseren Köpfen in eine leichte Schräglage übergegangen. Immer schneller und kleiner werdend schießt sie wie ein brennender Pfeil in den tiefblauen, wolkenlosen Himmel. Schon wenige Augenblicke später fehlt von ihr jede Spur. Wir sehen nur noch einen weißen Dampfkringel irgendwo hoch oben. Die Anwesenden klatschen Beifall. Hände werden geschüttelt. Jeder gratuliert Jedem. Nach acht Minuten meldet die Durchsage, TMA-7 habe die dritte Stufe abgesprengt und sei in die Erdumlaufbahn eingetreten.
Für uns und für die Reisegruppe aus Amerika ist dieser Morgen eine Sensation; für die Russen reine Routine. Tausende solcher Starts hat das Kosmodrom Baikonur in seiner über fünfzigjährigen Geschichte erlebt. In der Hochphase der sowjetischen Raumfahrt hoben hier nahezu zweimal wöchentlich Raketen ab. Von hier schossen die Sowjets nicht nur Sputnik, den ersten Satelliten ins All, sondern auch den ersten Hund, den ersten Mann, und schließlich die erste Frau. Immer wieder hatten die Russen im heißen Wettlauf des Kalten Krieges die Nase vorn. Während die Amerikaner sich in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts immer noch ihrer Mondlandungen rühmten, testeten die Russen bereits in Langzeitaufenthalten im All die Auswirkungen auf den menschlichen Organismus. Dauerhafte Raumstationen dienten als Vorbereitung für eine Reise zum Mars, ihrem roten Planeten. Mit ein paar Milliarden Rubel mehr im Säckel hätten sie es wahrscheinlich auch schon bis dorthin geschafft...
Doch die Realität sieht anders aus. Betritt man heute zum ersten Mal die Brutstätten der russischen Raumfahrt in Baikonur oder in Star City, dem Ausbildungsort der Kosmonauten unweit von Moskau, bleibt einem ein Kulturschock mittlerer Größenordnung nicht erspart. Was sich hier den Augen bietet ist trostlos und verrottet. Durch die letzten Fensterreste verfallener Plattenbauten pfeift der Wind. Durch die Dächer der Trainingshallen regnet es. Ausgediente Trabbis säumen den Rinnstein von Star City und irgendwo in der kasachischen Steppe verstauben halbfertige Raumgleiter in vergessenen Lagerhallen. Die Sonne mamoriert den überall herumliegenden Schrott, als hätte sie damit Mitleid.
Zwischendurch symbolisiert hier und da ein Denkmal den Ruhm und die Pracht vergangener Tage. Nichts hat hier auch nur den Hauch einer Ähnlichkeit mit den Bildern von hochgezüchteten, modernen Weltraumeinrichtungen, wie wir sie aus Amerika gewohnt sind. Seit vielen Jahren fehlen den Russen die finanziellen Mittel, die für eine Instandhaltung der Anlagen, sowie für das Fortführen aufwendiger Projekte und Forschungsarbeiten notwendig sind. Statt Neues zu bauen, wird Altes geflickt, notfalls mit Kaugummi und Klebeband.
Immer wieder fragen wir uns: "Wie kann das alles nur funktionieren?" Aber es funktioniert! Und das nahezu perfekt. Dank ihrer genialen wissenschaftlichen Pioniere und Techniker haben die Russen ein System geschaffen, dass besser, zuverlässiger und billiger nicht sein könnte. Die Technik ist simpel, fast schon primitiv und seit mehr als vierzig Jahren außer einigen wenigen Modifizierungen die Gleiche geblieben. Wozu soll man sie auch verändern, wenn sie sich jahrzehntelang bewährt hat? Getreu dem Motto: Alles Komplizierte ist überflüssig, ist das System der improvisationstüchtigen Russen ein Konzept aus Low Tech, Tradition und alltäglicher Routine.
Am Morgen des sogenannten "Rollout" der Soyuz, zwei Tage vor dem Start, können wir nur darüber staunen, mit welch sonnigem Gemüt hier selbst bei den Vorbereitungen für einen bemannten Raumflug zu Werke gegangen wird: In den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne öffnet sich das Tor der Fertigungshalle. Eine Diesellokomotive tuckert heraus und zieht die horizontal auf einem Spezialfahrzeug liegende Rakete in gemütlichem Schritttempo zur Startplattform. Dann machen sich ein paar Techniker über die Rakete her, und ein hydraulischer Hebearm wuchtet das gewaltige Geschoss in seine vertikale Position. Spielend vollzieht sich der Akt unmittelbar vor unseren Augen. Keine Nervosität. Keine Hektik. Ein Tag, so sorglos wie im Playmobilland.
Dass Baikonur übersetzt "braune Erde" heißt, brennt sich uns mit jedem weiteren Tag tiefer in die Netzhaut: 6700 Quadratkilometer, 20 Abschussrampen, 1500 Kilometer Straße, ein Dutzend Schlaglöcher. Grenzenlose, unwirtliche Steppe soweit das Auge reicht; zehnmal größer als das Kennedy Space-Center in Florida. Jegliche Raumaktivität der ehemaligen Sowjetunion hat hier vor wenigen Jahren noch ausschließlich im Geheimen stattgefunden. Nicht die geringste Information durfte durchsickern. Heute haben die Russen die Tore zu ihren einstigen Heiligtümern geöffnet. Freundlich werden wir herumgeführt und bekommen alles gezeigt: Produktionshallen, Simulationsgeräte, Kosmonauten Klos und die größte Zentrifuge der Welt.
Die Ereignisse tröpfeln nur so wie Wasser aus einem Leitungshahn auf uns hernieder: In abenteuerlichen Militärmaschinen fliegen wir zweimal quer über den Kontinent - von Star City nach Baikonur und wieder zurück. Schließlich philosophieren wir bei Kerzenschein und Wodka mit Jurij Gidzenko, dem Soyuz-Kommandanten der ersten dauerhaften ISS-Besatzung, über die Zukunft der russischen Raumfahrt. "Leider sind wir auf die vielen Millionen aus dem Ausland angewiesen, um den Motor unserer Raumfahrt am Laufen zu halten." sagt er. "Aber er läuft. Und das ist das wichtigste!"
Zwei Tage nach dem Start der Mission können wir im Kontrollzentrum von Koroljow auf einem Riesenbildschirm sogar das Andocken der Raumkapsel an die Internationale Raumstation mitverfolgen. Alles live, in 3D und Farbe! Wir sind überwältigt. Nur selbst einmal ins All fliegen muss phantastischer sein.
Text & Bilder © Copyright 2005 Markus Gloger/Space Affairs
Markus Gloger begleitete uns auf unserer Tour v. 26.09. - 05.10.2005 nach Star City zum GCTC (Gagarin Cosmonaut Training Centre) und zum Start von Gregory Olsen nach Baikonur.
Markus ist professioneller Fotograf mit dem Sinn "für das absolute Bild".
Er hat schon einige Länder der Erde bereist, wie z.B. Nepal, Bahrain und die Azoren, wo er für verschiedene Reisejournale einzigartige Fotos schoss, als auch Reiseberichte schrieb.
Wir sind sehr froh darüber, ihn für die einzigartigen Welten der Raumfahrt gewinnen zu können und eins ist sicher: Er begleitet uns auch weiterhin auf unseren Spezialtouren, da er sowohl für Bilder als auch für Berichte der 'richtige Mann am richtigen Ort' ist.