Commanders Sea Survival
Das "Kosmonautenüberlebenstagebuch"
Der Tag vorher – 11.09.2001
Der Tag beginnt eigentlich friedlich wie immer. Nachdem ich die restlichen Dinge zur Reise nach Russland geklärt habe und Dollars und Reiseschecks mein Eigen nennen kann, muss ich mir noch die Haare schneiden. Ich denke, als ich mein Spiegelbild betrachte, dass es besser ist, mit kurzen Haaren nach Russland zu fahren, da ich gehört habe, dass der Sokol-Raumanzug nicht einfach anzuziehen ist.
Ich stehe im Badezimmer und schneide mir mittels eines Haarrasierers den Schädel, als ich höre, dass meine Freundin Astrid nach Hause kommt und ins Wohnzimmer stürzt.
Mein erster Gedanke ist: Komisch, sie macht das TV an, die US-Open sind doch seit Montag vorbei. Ich frage nach und höre, dass ein Flugzeug in das World Trade Center geflogen ist… Sofort lasse ich das Haareschneiden sein und stürze ins Wohnzimmer und sehe das Desaster, und meine Mission droht zu scheitern.
Ich weine, als ich die Menschen sehe.
Ich schreie auf, als ich sehe, wie die zweite Maschine in den anderen Tower rast, und mir wird klar: Das ist kein Zufall. Es kann nicht sein.
Die Terroranschläge in den USA lassen mich verzweifeln, lassen meine lang vorbereitete Mission wie einen Witz erscheinen. Ich habe Wut, Angst.
Ich denke, das kann nicht sein. Und Du fliegst morgen nach Russland?
Geht nicht. Unmöglich.
Nachmittags dann drei Stunden Beratung mit meinem Begleiter Michael Schultz und Walter Drasl von PRO TOURA. Wir denken nach. Wir diskutieren. Alle sind geschockt. Am Ende überlässt man es mir, zu fliegen oder nicht. Was bringt es uns, wenn Michael und ich nicht fliegen?
Die Erde wird sich weiterdrehen, und wir denken in die Zukunft. Es wäre fatal, sich nun eine Chance des Lebens zu verbittern. Also sage ich nach drei Stunden: Okay. Ich werde fliegen und hoffe nur bei mir, dass ich in eine normale Welt zurückkehren kann.
In 11.000 Metern Frühstück über den Wolken – 12.09.2001
4.45 Uhr
Der Tag beginnt für mich schon früh, da ich kurz vor 6 Uhr abgeholt werde. Man, was tun mir die Knochen weh; die letzten 3 Monate waren angefüllt mit Arbeit, teilweise 16 Stunden am Tag, und das tagtäglich. Mein 36-jähriger Körper spricht zu mir und sagt mir: Junge, Du bist nicht trainiert genug für diesen Trip. Aber mein Verstand sagt mir: Man wächst mit seinen Aufgaben!
Nach der „Muntermachdusche“ schnell eine Erdbeermilch, schnell noch mal alles gecheckt nach der Devise „Habe ich auch Alles?“, eine Kippe rauchen mit Astrid und dann Verabschiedung. Wegen der Ereignisse am Vortag denke ich: Ob ich alle gesund wiedersehen werde, wenn ich zurückkomme? Komme ich zurück? Werde ich zurückkehren? Auf jeden Fall wird die Zeit, in der wir ab sofort leben, eine andere sein. Ich versuche meine Gedanken auf das Kommende zu konzentrieren, das wird mehr als schwer genug für mich.
Ich sage „Tschüss, Waldesch“. Ach nein, das heißt ja jetzt „Dosbedanja Waldesch“.
7.00 Uhr
Nach einer schnellen Fahrt im strömenden Regen bin ich nun am Airport Frankfurt. Trotz der politisch veränderten Weltlage ist es sehr still. Keine Hektik, kein Palaver mit Sicherheitsbeamten. TV-Teams haben ihre Kameras positioniert, jedoch es ist noch zu früh.
Ich rauche noch schnell eine Zigarette vor dem Flughafengebäude und rufe noch einmal schnell zu Hause an. Alles klar in FFM, mein Flug wird pünktlich abgehen.
Dann schnell eingecheckt, noch eine geraucht. Scheiß Kippen, manchmal könnte ich sie sonst wo hinschmeißen. Ich mache mich auf den Weg zum Gate B50, dort geht der Flieger LH 3550 nach Moskau – eine Boeing 737-500 – pünktlich, wie es heißt, ab. Im Gate dann eine Überraschung, die dann nach genauem Nachdenken doch keine mehr ist. Totenstille ist im Gate. Ich denke, ich bin falsch gelandet, aber ich bin richtig. Auf dem Terminal-Screen steht mein Flug. Nach einer Zeit bekomme ich mit, dass viele Fluggäste abgesagt haben. Wir sind nur ca. 60 Reisende. Dass ich nun mehr Platz haben werde, ist mir klar, nur der Grund ist nicht der schönste.
Bis alles geboarded und gecheckt ist und wir dann abheben in Richtung Osten, ist es 8.35 Uhr. Ich bin auf dem Weg zu einer Nation, die bedeutende Weltraumgeschichte geschrieben hat. Auch wenn ich kein „Professional“ bin, denke ich an die vielen Männer und Frauen, die bereits im All waren. Auch sie sind von irgendwoher irgendwo hingeflogen, und auf einer solchen Reise befinde ich mich nun auch.
Richtig wach werde ich erst nach einer Stunde Flug. Ich sitze weit hinten in der vorletzten Reihe und kann verfolgen, was sich in der Bordküche tut. Der Duft von Kaffee in meiner Nase lässt mich wacher werden, und es heißt zuerst einmal: Frühstücken in 11.000 Metern Höhe, so wie es der Captain vorher übermittelt hat. Während ich frühstücke, kommt mir der Gedanke, dieses Tagebuch zu schreiben. Warum auch nicht?
Ich versuche die Schreckensbilder des Vortages aus meinen Gedanken zu verbannen. Das ist nicht einfach, aber es muss gehen. Irgendwann schaffe ich es auch und döse ein wenig ein.
14.15 Uhr Ortszeit – Moskau
Der Anflug auf dem Flugplatz Scheremetjewo ist etwas holprig vorher, jedoch setzt der Captain die Boeing 737 butterweich auf. Die Erde hat mich wieder!
Nun denke ich, dass der Stress zunächst einmal weiter geht bei den Einreiseformalitäten, aber denkste! Nach 5 Minuten bin ich in Moskau von einer düster dreinblickenden Zollbeamtin gemustert worden und erhalte meinen Pass zurück. „Viel Spaß in Russland!“ ruft sie mir hinterher. Danach rieche ich zum ersten Mal Moskauer Luft. Irgendwie riecht hier alles nach Altöl, denke ich bei mir. Wird schon seinen Grund haben.
Ich gehe einen ellenlangen Flur entlang und beobachte die Leute, die mich überholen oder die, die ich überhole. Alles scheint auch hier normal zu sein. Ich bemerke ein Schild, welches von einem Mann hochgehalten wird. „Andreas Bergweiler“ steht darauf, ich fass es nicht und denke: „Andreas, du bist in Moskau!“
Ein freundliches Gesicht lächelt mich an. Die Begrüßung ist herzlich, sein Name ist Igor, den Rest habe ich zu dem Zeitpunkt vergessen. Er ist der Kontaktmann der Astrium in Bremen, irgendwie habe ich seinen Namen schon vorher hundertmal gehört, nur dachte ich nicht daran, dass er mich persönlich abholt. Er sagt: „It’s the first time for GCTC to have a civilian participant at this training, so I will stay with you for this trip, not behind my desk!“. Ich lache ihn an; irgendwas sagt mir, dass dieses Zusammentreffen etwas Besonderes bedeuten wird.
Igor beginnt sofort ein lockeres Gespräch, ich fühle mich sofort wohl. Während wir auf meinen „Medienberater“ Michael Schultz warten, rauchen wir eine Zigarette.
Schnell verliere ich meine Muttersprache und plappere in Englisch daher.
20 Minuten später sehe ich Michael Schultz, er hat uns noch nicht gesehen. „Hallo!“ sage ich und winke mit der Hand, dann bemerkt auch er, dass er in Russland – Moskau ist. Er sagt zu mir „Ich bin Michael!“ und reicht mir die Hand. Dass er Michael heißt, weiß ich nun zur Genüge, aber das ist eine andere Geschichte…
Wir tauschen danach Geld und stehen vor einer Wechselstube. Das Mädchen hinter der Glasscheibe blickt sehr kühl drein, und es dauert über eine halbe Stunde, bis ich ein Bündel Rubel für meine 200 US Dollar erhalten habe. Etwas knapp über 5.000 Rubel. Nachdem dieses Prozedere vorüber ist und wir dann nach meilenweitem Gehen aus dem Flughafengebäude treten, sagt Igor: „At this season here in Moscow it is raining. But not today!“
Ich lache und sage zu ihm auf Englisch: „Klar, ich bin ja auch hier!“ Er lacht laut auf, und wir gehen weiter. Draußen sind es so an die 26 Grad, und die Sonne brennt vom Himmel.
Dann endlich sind wir am Parkplatz. Wir werden von einem Gefreiten der russischen Armee empfangen. Er sagt zwar kein Wort, aber seine Gedanken kann ich irgendwie lesen. Nach dem Einstieg in den nicht mehr ganz so frisch aussehenden Wagen beginnen wir mit der Fahrt ins weltberühmte Star City, die Weltraummetropole Russlands. Für die Fahrt dorthin braucht man anscheinend einen Survival-Kurs. Die Straßen sind verstopft, aber irgendwie wissen die Russen, wie man nach vorne kommt, indem man sich einfach den knappsten und besten Weg sucht!
Und was für eine Fahrt machen wir: Russen fahren auf jeden Fall anders Auto. Genauso, wie ihre Autos aussehen, fahren sie auch!
Wir plappern im Wagen belanglos daher, und Igor erklärt uns einiges. Schnell wird mir klar: Das sind Profis, und ich habe meine ersten Gedanken im Kopf: „Andreas, was machst Du eigentlich hier?“
Nach etwas über einer Stunde Fahrt sehe ich zum ersten Mal ein Schild, das ich bisher nur aus dem Fernsehen oder Filmen kannte: das berühmte schmiedeeiserne Star City-Zeichen. Nun biegen wir ein und fahren auf einer asphaltierten Strasse weiter. Nach weiterer Fahrt durch bewaldete Gebiete sind wir schnell am Haupttor angekommen und fahren einfach durch, ohne Kontrolle.
Die Fahrt endet am Star City Hotel, und wir steigen aus. Es ist angenehm warm, und mir wird auch immer wärmer bei dem Gedanken, wer hier in diesem Hotel schon so alles geschlafen haben wird. Krikalov, Usachev und wie sie alle heißen. Russische Kosmonauten sind nicht so bekannt im Westen wie amerikanische, aber mittlerweile kann man auch ruhig aufhören zu zählen, was der Leistung dieser Männer oder Frauen jedoch keinen Abbruch tut.
Nach dem Einchecken an der Information, wo eine kleine Frau sitzt, bekomme ich Zimmer 14 im Erdgeschoss zugewiesen, Michael bekommt die 12. „Where is the 13?“ frage ich und erfahre: In der russischen Raumfahrt gibt es keine 13. Aha, denke ich, warum auch nicht. Aberglaube hat bisher noch Niemandem geschadet. Ich betrete mein Zimmer. Wer mag hier geschlafen haben in den letzten 25 Jahren? Vielleicht auch ein paar deutsche Astronauten wie Thomas Reiter, Merbold oder Flade?
Igor will uns um 18.00 Uhr wieder abholen. Hmm. Keine Führung durch Star City? Jedoch ist er eine halbe Stunde später wieder da. „Okay, we have one and a half hour!“.
Die Sonne brennt an diesem Nachmittag vom Himmel, als wir uns den ersten Hallen nähern, die sich hinter einer Wache verbergen, durch die wir einfach durchgehen. Dieses offene Verhalten wäre noch vor 10 Jahren undenkbar gewesen, denke ich bei mir – die Zeiten haben sich grundlegend geändert. Ich schaue mir die Umgebung an und denke an die Bücher und Internetseiten, die ich die letzten Jahre über Star City gelesen habe. Es ist wie beschrieben: High-Tech in einer Umgebung, die nicht so ganz passt. Aber selbst mein Großvater sagte einmal zu mir, als ich noch ein kleiner Piefke war: „Die Russen darf man nicht unterschätzen. Sie sind vor allen Dingen praktisch veranlagt und bauen aus einem Fahrrad eine Panzerkette, wenn es sein muss!“
Nach weiteren 5 Minuten Spaziergang stehen wir in einer Riesenhalle: Der Soyuz Simulator-Komplex. Igor erweist sich als absoluter Fachmann; ich bemerke, dass er nicht nur für Raumfahrt arbeitet, sondern auch mit Raumfahrt lebt. Er erklärt alles bis ins kleinste Detail, und ich fühle mich irgendwie komisch. Niemals hätte ich daran gedacht, hier einmal stehen zu können.
Während des Gesprächs an einer Soyuz-TM werde ich stutzig, als Igor mir sagt: “In so einer Kapsel sitzt Du am Sonntag mindestens 4 Stunden lang. Eingepackt in einen Sokol-Raumanzug und festgeschnallt.“ 4 Stunden mindestens! Mein Kopf sagt zu mir: Danke Andreas, dass Du mir das antun willst!
Ich frage nach. „Klar,“ meint Igor „das ist das Abschlusstraining, in welchem es darauf ankommt zu zeigen, ob man es draufhat, aus dieser Kapsel zu kommen, wenn das Bergungsschiff kommt. Und das kann dauern, maximal 36 Stunden.“ Mir wird grad schlecht: Natürlich habe ich davon gehört und kann mir das alles vorstellen, jedoch wusste ich bisher auch noch nicht, dass ich selbst einmal so lange und unter diesen Bedingungen in einer Soyuz-Kapsel sitzen würde!
Er erklärt mir, dass man sich dann in dieser Kapsel umziehen muss: Raus aus dem Sokol und zu guter Letzt rein in den Überlebensanzug „Forel“ (Forelle, ha!). Uff, das wusste ich bisher nicht. Ja meine Güte, denke ich. Ob ich das bringe? Und dann sagt er mir definitiv: „You are the first civilian who will make this training!“
Mir fehlen gerade etwas die Worte. Das hatte man mir zwar vorher gesagt, aber irgendwie habe ich das nicht in meinen Schädel hineinbekommen. Ja, bin ich denn Neil Armstrong oder Alexej Leonov?
Nach einer kurzen Schreckminute führt uns Igor dann meilenweit durch das Sternenstädtchen. Schwupps, und wir stehen vor dem MIR-Simulator!
Gott, ist das Ding groß. Kvant, Spektr, Pridora-Modul in Originalgröße vor mir zu sehen, hätte ich nie vermutet. Riesengroß war die MIR, 140 Tonnen Lebendgewicht. Eine kurze Treppe hinauf und ich betrete die MIR, schnell erkenne ich die Inneneinrichtung.
Eine halbe Stunde Fachsimpeln mit Igor folgt; er wundert sich darüber, dass ich mit den Modulnamen und Einrichtungen irgendwie vertraut bin. Nun gut, erkläre ich ihm, die letzten Jahre habe ich mich mit dem Thema intensiv beschäftigt und mich zu einem wandernden Weltraumlexikon entwickelt.
Danach weiter zu den russischen ISS-Modulen! Genau so groß und silbrig glänzend, aber MIR-ähnlich. Russische Technik – ohne die wäre die ISS nicht möglich. Das sieht man an einem solchen Platz genau; das wird jedem technik- und raumfahrtinteressierten Besucher schlagartig klar, wenn er davorsteht und es anfassen kann.
Wir gehen weiter durch die Gänge. Hunderte von Bildern von verschiedenen Besatzungen der russischen Weltraumgeschichte hängen an der Wand. Ich erkenne einige: Leonov, Wolkow, Krikalov, um nur einige zu nennen. Verdammt, denke ich, einige andere Gesichter kommen mir bekannt vor, aber mir fallen die vielen Namen in diesem Moment nicht ein.
Die Zeit drängt, schnell noch zur Zentrifuge und ans Tieftauchbecken.
Die Zentrifuge ist unglaublich groß. Wir stehen in einem Raum, der mindestens 50 oder 60 Meter breit ist und 20 Meter hoch. Eine schwedische Firma hat die Zentrifuge gebaut, erklärt Igor. Sie ist unvorstellbar groß, und mir wird irgendwie flau im Magen, wenn ich mir vorstelle, mit diesem Stahlkoloss auf eine Reise zu gehen.
Das Wasserbassin ist nicht so groß wie das in Houston im Johnson Space Center der NASA, aber irgendwie imposanter. Komplette Arbeitsbühne versenkbar; im Moment steht das FRGB-Versorgungsmodul darauf mit der Luftschleuse. Es fällt mir sehr schwer, die Ausmaße dieser Module in meinen Kopf zu bekommen. Eindrücke ohne Ende; ich vergesse fast, Bilder von diesen imposanten Dingen zu machen, aber auch nur fast!
Um kurz nach 18.00 Uhr ist die Führung durch das, was man in eineinhalb Stunden sehen kann, vorbei. Igor bringt uns noch zu einem Restaurant, wo wir die einzigen Gäste sind. Herzliche Leute, das bemerke ich auch hier sehr deutlich. Igor verlässt uns, nachdem er uns an einen reich gedeckten Tisch geführt hat, und Michael und ich fachsimpeln noch zwei Stunden. Dann macht sich die Müdigkeit des Tages bemerkbar, und wir gehen gegen halb neun in Richtung Star City Hotel, aber diesmal einen anderen Weg, um einen See herum. Irgendwie will mir nicht in den Kopf, dass ich hier im Sternenstädtchen bin. Hier ist alles anders, als man es sich vorstellen kann.
Morgen früh soll es zeitig in Richtung Sochi gehen. Mit einer Iljuschin 86.
Und dann wird es bestimmt ernst, denke ich so bei mir. Komisch ist nur, dass ich überhaupt keine Bedenken habe, was mich erwartet; auch die Vorahnung, 4 Stunden eingeschlossen in einer Kapsel zu verbringen, verängstigt mich nicht wirklich. Aber das werden wir sehen, wenn es losgeht.
Nun ist es knapp nach halb zehn, und ich sitze an meinem spartanischen Tisch und schreibe die ersten Worte in das Tagebuch des Kosmonauten Bergweiler. Dann werde ich noch auf dem Balkon eine rauchen. Vielleicht sieht man ja die Sterne? Das Licht hier hat Stromschwankungen, und die rechte Hand beginnt zu schmerzen. Als Computerheini ist man es absolut nicht mehr gewohnt, mit der Hand so viel zu schreiben. Morgen Abend werde ich wahrscheinlich noch kaputter sein als heute, und so wird es wohl in den nächsten Tagen des Öfteren sein, aber: EGAL! Schließlich bin ich hier nicht für einen Entspannungsurlaub!
Von Star City nach Sochi – 13.09.2001
Schon wieder 4.30 Uhr in der Früh. Mein Handy klingelt, die Dame des Hotels Star City hat uns natürlich nicht geweckt. Aber ich habe noch Zeit, packe zusammen und gehe an die Rezeption und plaudere ein wenig mit der Dame vom Hotel. Es ist draußen sehr dunkel, was ich durch die Fensterscheiben bemerke. Ich erfahre, dass das Hotel seit 1975 existiert und für die heutigen Verhältnisse natürlich viel zu klein ist. Die Amerikaner haben ein ganzes Stockwerk angemietet für ihre Programme, war ja mal wieder klar.
Die Tür öffnet sich und ein Mann kommt rein. Verdammt, denke ich, dass ist niemand anders als Mark Shuttleworth! „Hello Mr. Shuttleworth.“ begrüße ich ihn, er bleibt stehen, schaut mich fragend an, lächelt jedoch nett und entgegnet „Do we know each other?“ Ich verneine, sage ihm woher ich sein Gesicht kenne und als er erfährt was ich vorhabe zu tun sagt er: „Well, I am coming directly from the Sea Survival Training. We had bad weather conditions all the time with high waves, so a part of the training I have to do in the Hydrolab here. Be prepared, it will be very hard!“. Sagt er, gibt mir nochmal die Hand, weil er in Eile ist und verschwindet. Mein Hirn ist schon mal am Schwimmen in tosenden Wellen, danke Mark!
Um 5.20 Uhr werden wir von einem ramponierten Opel Omega abgeholt und zu einem Sammelpunkt gebracht. Der Fahrer ist ein griesgrämig reinblickender Russe, der kaum die Zähne auseinander bekommt, nur sehr zögernd bekommt er ein Lächeln ins Gesicht.
Am Sammelpunkt treffe ich zum ersten Mal auf andere Crewmitglieder. Igor ist auch wieder mit von der Partie, und er berichtet mir, dass mein Commander Sergei Wolkow sein wird, der Sohn des berühmten russischen Kosmonauten Alexander Wolkow. Eine bunte Truppe versammelt sich um mich und mustert mich. Insgesamt sind wir 6 Kandidaten. Ein amerikanischer Arzt ist auch noch mit von der Partie, von dem ich zunächst denke, dass er ein Astronaut ist. Rick ist sein Name, und er quetscht mich aus von dem Moment, als wir im Van sitzen. Als er dann feststellt, dass er seinen Pass vergessen hat, geht es wieder zurück zum Hotel. Komisch, da hätten Michael und ich den Weg schon mal sparen können. Nachdem Rick seinen Pass hat, geht es auf die Fahrt in Richtung Moskau Scheremetjewo 1, zum nationalen Flugplatz Moskaus.
Die Jungs im Van sind gesprächig, aber auch müde. Ich habe Schwierigkeiten, mir die Namen zu merken und den Namen Gesichter zuzuordnen.
Als wir am Flugplatz ankommen, ist es schon hell.
Und dann: Nix da mit Militärtransporter. Wir fliegen mit der Aeroflot nach Sochi! Mir fällt die Internetseite „Desasters in Airflight“ ein, wo die Aeroflot sowohl die Liste der abgestürzten Flugzeuge als auch der Toten und Verletzten anführt!
Nach anderthalb Stunden Warten und einer Zigarettenpause mit Igor geht’s dann in die wahrlich riesige Iljuschin 86. Nach einer Zeit sind wir in der Luft, und ich kann mich nur noch wundern: Der Airbus A 340 wird als „flüsternder Riese“ bezeichnet, aber diese Maschine ist geräumiger, komfortabler und viel, viel leiser während des Fluges. Tja – sag ich mir, es ist nicht immer alles Gold, was glänzt!
Während des zweieinhalbstündigen Fluges unterhalte ich mich mit einem amerikanischen Astronauten, der auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges sitzt. Sein Name ist Paul Richards, und er war im März dieses Jahres mit der STS-102 Mission im All bei der ISS!
Auch mein Sitznachbar ist, nachdem er eine Stunde oder so geschlafen hat, gesprächig. Sein Name ist Edward (Ed) Lou. Vom Äußeren hätte ich ihn eher für einen Russen gehalten, aber so kann man sich absolut täuschen. Er war bereits zweimal im All, einmal mit der Mission STS-84 Atlantis vom 15. bis 27.Mai 1997, die an die MIR andockte, und mit STS-106 Atlantis vom 8. bis 20.09.2000, wo er mit anderen Astronauten die ISS für die erste ISS-1-Crew vorbereitete. Er verbrachte bis jetzt über 6 Stunden bei EVA´s im Weltraum und steckt nun im Training für die ISS-Crew 7.
Nach zwei Stunden Flug kommen wir auf dem Adler-Airport in Sochi an. Es riecht nach Öl und Salz, die Temperatur ist angenehm, so an die 32 Grad. Aber ein Wind weht, und so wird der Aufenthalt und erste Eindruck noch besser. Ich bekomme den Geruch von Öl nicht mehr aus meiner Nase, seitdem ich in Russland bin. Nur in Star City roch es nicht danach. Ein kurzes Vorstellen am Flugplatz: Igor stellt mir Valerij, den Leiter des Trainings, vor! Oh mein Gott, denke ich und denke an meinen Ausbildungsspieß. Weiße Haare nach oben gekämmt, ein weißer Schnäuzer, stahlblaue Augen (die jedoch auch warm aussehen) und ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Watch the Bulldog – SFOR“. Das kann ja heiter werden, ein richtiger „Kampfhund“, denke ich. Er begrüßt mich freundlich, jedoch mit einer autoritären Zurückhaltung. Schnell macht er mir durch sein Verhalten klar, wer der Herr hier im Ring zu sein scheint. Er hat mich bestimmt schon in sein Herz geschlossen, denke ich, aber man sollte immer zuerst abwarten, wie Menschen sind, bevor man sich ein Urteil bildet.
Nach der kurzen Begrüßung fährt das Team mit einem Van zum „Kudepsta Training Camp“. Eine wunderbar gelegene Oase mit vielen Büschen und Bäumen; jedoch sehe ich auch die Hoteltrakte, die mir nicht den Anschein erwecken, dass es in ihnen sehr komfortabel zugehen wird. Aber was erwarte ich denn? Ich bin schließlich nicht hier, um Urlaub zu machen, sondern an einem Sea Survival Training teilzunehmen.
Wir fahren mit dem Van eine ewig lang andauernde Steigung hinauf und ich denke daran, ob der Motor des Vans dies auch schaffen wird. Manchmal ist er kurz vor dem Absterben. Mir fallen die Worte von Igor ein: allein das Treppenstufensteigen in Kudepsta ist schon Fitnesstraining genug!
Valerij hält eine kurze Ansprache; eine kleine Russin, Irina ihr Name, die Kette raucht, übersetzt sein Russisch ins Englische. Wir bekommen unsere Zimmerzuteilung, und ich erfahre, dass mein Zimmergenosse Ed Lou sein wird. Der Nachmittag bis 14 Uhr stünde zur freien Verfügung, dann sei Essenszeit. Danach der erste theoretische Unterricht des Survival Trainings; für mich werde später am Abend eine einzelne Session abgehalten, um den Survival-Kit „Granat 6“ kennenzulernen. Extra für mich, mich wundert dies absolut nicht!
Mir kommen nun die ersten komischen Gedanken in den Sinn, die anders sind als die, die ich bisher hatte: Dieser Trip wird mich an den Rand meiner physischen und psychischen Leistungsfähigkeit bringen.
Nun gut, um 14.00 Uhr ist Lunch, danach geht es in die ersten theoretischen Stunden. Ob ich da meinen Overall bekomme, von dem man mir erzählt hat? Bisher war von Overalls absolut nichts zu sehen. Nun, bis heute Abend werde ich wohl schon wieder ein wenig mehr wissen, denke ich, gehe auf mein Zimmer, dusche kurz und versuche die Zeit bis um 14.00 Uhr totzuschlagen. Ich rufe kurz zu Hause an und gebe Kunde, dass ich nun in Kudepsta-Sochi bin. Mein Herz schlägt heute Nachmittag schon etwas schneller, aber wer sollte sich ernsthaft darüber wundern?
16.00 Uhr
Der erste Unterricht beginnt. Normalerweise sollte er um 15:00 Uhr losgehen, jedoch haben die Verantwortlichen ein Date mit den NASA-Jungens. Irgendwas sagt mir, dass dies mit mir zu tun haben könnte. Die ersten beiden Stunden gehen wie im Flug vorbei. Russisch sprechende Trainer erzählen in wirklich kurzen Sessions, was in den ersten Minuten notwendig ist, um nach einer Landung im Wasser zu überleben. Sie erwähnen kurz die verschiedenen Überlebenstechniken und was besonders wichtig ist. Teilweise sind mir die Begriffe schon von der Bundeswehr her bekannt, jedoch habe ich diese Begriffe natürlich nicht jemals zuvor in einem Kosmonautentraining gehört.
Die ersten drei Minuten nach dem Aufprall dienen der Bewertung der gegebenen Situation. Je nach Bedingung (und das können sehr viele Bedingungen sein) muss der Kosmonaut im Team entscheiden, was zu tun ist. Wichtig ist immer: Wenn es möglich ist, so lange wie möglich in der Kapsel bleiben. Natürlich gilt das nur, wenn die „Descent Capsule“ in Ordnung ist. Im Falle von Feuer oder Wasser muss die Kapsel schnellstmöglich verlassen werden. Hat man genügend Zeit, muss man sich umziehen in den Überlebensanzug „Forel“, der einem das Überleben in 0 Grad kaltem Wasser für 36 Stunden ermöglicht.
Diese Überlebenstechniken und Geräte ermöglichen dem Kosmonauten, dass er drei Tage überleben kann. So sollte z.B. am ersten Tag von den Notrationen nichts gegessen werden. Der Wasservorrat sollte zwischen dem ersten und dritten Tag so aufgeteilt werden: 1. Tag: 20 %, 2. Tag: 40 %, 3. Tag: 40 %. Weiterhin sollte man Ausschau halten nach Land. Wie macht man das?
a) Vögel beobachten: Und zwar die hochfliegenden Vögel, da diese vom Meer zurück nach der Futtersuche in Richtung Land fliegen. Die tief fliegenden Vögel fliegen kreuz und quer, da sie auf Futtersuche sind.
b) Wolkenbildungen: Kumuluswolken. Das sind die hochauftürmenden Wolken (hat jeder schon einmal gesehen), die sich grundsätzlich nur über Land bilden, wenn sich feuchte Luft vom Meer mit trockener Luft vom Land vereinigt. Dort, wo Kumuluswolken sind, ist Land. Natürlich können diese Wolken kilometerhoch und das Land Dutzende, wenn nicht Hunderte von Kilometern entfernt sein.
c) Horizont: Zeigt sich ein Schiff oder ein Flugzeug und man ist sich sicher, dass man gesehen wird, setzt man die Signalpistole ein. Die Leuchtkugel fliegt 250 Meter hoch und brennt für eine Minute. Danach hat man noch zwei kleinere Signalpatronen, die 100 Meter hochfliegen und jeweils für 10 Sekunden brennen.
Und wichtig ist: Wenn man gefunden wird, die Rettungskräfte gewähren lassen: Diese sind Profis, welche wissen, was sie tun! Durch einen Arzt werden die medizinischen Aspekte des Trainings angesprochen. Auch während des Trainings werden Herztätigkeiten, Blutdruck und Puls überwacht.
Auweia! Da wird ja etwas bei mir herauskommen!
Um 19.00 Uhr soll ich in die Geheimnisse des Granat 6 Survival-Kits eingewiesen werden. Die anderen Astro- und Kosmonauten kennen ihn schon zu Genüge, ich nicht! In diesem grünen Koffer verbirgt sich also ein Geheimnis. Mein Zimmergenosse Ed Lou meint dazu, als er den Koffer sieht: „You are wondering about that thing. Such a little box with so many items!“. Ich sage, dies sei ja wie Weihnachten, und er lacht.
Auch sagt man mir, ich solle die nächsten Tage viel schlafen und wenig Alkohol trinken. Nun, dem Alkohol bin ich sowieso nicht so zugeneigt, und die letzten Wochen vor meiner Reise nach Russland waren geschäftlich „die Hölle“, also kommt der Tipp mir eigentlich ganz gelegen. Dann werde ich jetzt mal vor dem Abendessen ein kurzes Nickerchen halten.
Beim Abendessen setze ich mich an den Tisch von Sergej Volkow. Auch die Amerikaner nebst Rick dem Arzt sitzen dabei. Paul, Rick, Sergej, Ed und Juri plappern in einem Durcheinander von Russisch und Englisch. Außer ein paar Höflichkeitsfloskeln sprechen sie wenig mit mir. Ich kann auch nur sehr wenig in Bezug auf Flugerfahrung mit einer MIG 29, MIG 25 und einer T-38 beitragen! Nach dem Abendessen gehe ich wieder zurück in meine „Suite“ und bekomme Besuch von einem Instruktor, der mir nun die Geheimnisse des Granat 6 Survival-Kits erklären will. Die kettenrauchende strohblonde Russin Irina ist als Dolmetscherin im Schlepptau mit dabei. Der Instruktor ist ein älterer Mann, der aussieht, als wäre er gerade erst aufgestanden.
Zunächst erklärt er mir in Russisch die verschiedenen Inhalte:
Ich erhalte einen Crashkurs in anderthalb Stunden und benutze die verschiedenen Dinge so, wie der Instruktor es zeigt. Er ist nett und lacht viel. Ich bemerke, dass Russen ein freundliches Völkchen und nicht oberflächlich sind.
Irina übersetzt ins Englische, und das teilweise wortwörtlich. Dabei kommt es richtig rüber, dass mein Instruktor es ernst meint und trotzdem nett die Fakten rüberbringt. Michael macht während der Session Bilder, die mich in allen möglichen Posen zeigen, für einen unserer Sponsoren „Photo Dose“. Von mir aus. Nach den eineinhalb Stunden habe ich einiges verstanden und weiß zumindest, was wo in den drei Packs ungefähr drinnen ist.
Danach halte ich noch einen Smalltalk mit Michael. Es scheint so, als hätte die NASA heute Nachmittag echt Druck auf die Russen ausgeübt. Es spielt sich allem Anschein nach unterhalb der Chefetage des NASA-Administrators Daniel Goldin ab. Die NASA sagt: Es kann nicht sein, dass Herr B. aus W. das Training der Professionals stört; er ist kein Profi (nebenbei bemerkt will ich das auch noch nicht sein). Nun hat es Igor so arrangiert, dass ich am Montag meinen Abschlusstest nur mit Sergej Wolkow machen werde, nicht das lange Training! Als ich das höre, atme ich ein wenig auf. Ich habe schon zu viel davon gehört, was einem in der Kapsel so alles durch den Kopf geht.
Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg. 3 Tage an Bord des Schiffs, welches ich morgen zu sehen bekomme. Ich kann nicht sagen, ob ich Angst habe oder nicht; ich lasse es auf mich zukommen, ganz einfach. Was bleibt mir auch anderes übrig?
Später am Abend sitze ich in unserem Zimmer auf dem Balkon und denke daran, dass ich mir morgen einen fetten Sonnenbrand holen werde. Ich hoffe, die haben irgendwie vorgesorgt, denn ich habe meine Sonnencreme zu Hause in Deutschland vergessen. Typisch, irgendwas vergisst man ja auch immer, wenn man eine Reise tut.
Auch braucht man in unserem Badezimmer einen Überlebenskurs: Die Bodenplatten sind aufgesplittert, und ich sage noch zu Ed: „Watch your step! You’ll need a survival course in our bathroom!“
Nun gut. Morgen Abend werde ich wahrscheinlich platt sein wie eine Flunder und mir zumindest den Hintern gehörig verbrannt haben. Einfach wird das bestimmt nicht.
Es beginnt zu regnen. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, für mich oder gegen mich? Ich sehe Blitze im Norden.
Nur denke ich, das ist normal für die Gegend hier. Ich werde wohl von Sochi nicht viel zu sehen bekommen. Als ich mich gerade hinhauen möchte, kommt Ed. Er gibt mir noch ein paar Tipps zum Umgang mit der Raumkapsel und zur Arbeit in einem Raumanzug: „Langsame Bewegungen, vorher schauen, wo alles ist! – Slower in this case is faster!“. Ich werde mir die Worte merken und zu Herzen nehmen.
Windeln wechseln in der Descent Capsule – 14.09.2001
Das Frühstück beginnt – wie jeden Morgen in nächster Zeit – um 8.00 Uhr. Morgens sitze ich mit Michael und Igor zusammen an einem Tisch, und wir reden belangloses Zeug. Meine Gedanken sind schon auf dem Schwarzen Meer, und ich bin gespannt darauf, was ich erleben werde die nächsten Tage.
Danach trifft sich die gesamte Crew an einem zentralen Sammelpunkt, der aussieht wie ein Spielplatz. Irgendwelche bunten Tiere sind aus Stein oder Holz nachgeahmt und stehen auf einem Platz.
Valerij hält eine kurze Einführungsrede an die Crew. Ich erfahre, dass die Crew aus dem Original Rettungsteam von Star City besteht; alle werden in den nächsten Tagen in Action sein. Danach gehen wir zu Fuß in Richtung eines Uraltbusses und fahren nach Sochi zum Hafen. Der Wellengang wäre heute Morgen zu hoch, um mit dem Begleitboot des Schiffes zum Schiff zu fahren! Na, das kann ja heiter werden. Das Schiff liegt nun im Hafen und wartet auf uns.
Nachdem wir an Bord gegangen sind und dem Kapitän und seinen Offizieren die Hand geschüttelt haben, sehe ich zum ersten Mal die Descent-Kapsel. In ihrem orangeroten Anstrich ist sie auch nicht zu übersehen! Viel Zeit habe ich nicht, mir wird eine Kabine zugewiesen, die noch sauber gemacht wird. An der Wand hängt ein Foto von Lenin. Das Besondere an dem Bild ist, dass, egal wo man sich im Raum bewegt, Lenin einen immer anstarrt. Was mag er wohl über mich denken, als er mich so hier sieht? Ich warte in meiner Kabine mit Michael auf die Geschehnisse des Tages. Dann kommt Igor und sagt: „Los geht’s“ und führt mich auf das Achterdeck des Schiffs.
Ich treffe auf Sascha, meinen Instruktor für diesen Tag. Er ist ein zunächst grimmig dreinschauender Typ, und ich kenne ihn von gestern, als er uns in einem kurzen Unterricht erklärte, worauf es in den ersten Minuten nach einer Wasserung ankommt. Viel Zeit zum Nachdenken lässt er mir nicht und zeigt mir die verschiedenen Dinge, die in dem Survival Kit Granat 6 untergebracht sind. Einige erkenne ich wieder von dem Unterricht in meinem Zimmer von gestern Abend, andere sehe ich zum ersten Mal.
Die nächste Stunde verbringe ich damit, mit der Pistole auf Kunststoff-Colaflaschen zu schießen, die Leuchtmunition auszuprobieren. Der Tag fängt ja schon mal gut an, denke ich bei mir. Alles geht sehr schnell vonstatten, und ich bekomme die verschiedensten Tätigkeiten aufs Kleinste erklärt. Sascha entpuppt sich als geduldiger Instruktor. Das alles ist für mich einfach zu neu, und ich muss des Öfteren nachfragen.
Nach zwei Stunden auf dem Deck des Schiffes meint Igor, ob ich nicht einmal Lust hätte, mich mit dem Psychologen zu unterhalten. Klar, mache ich glatt, denke ich. Warum auch nicht?
Ich treffe in meiner Kabine auf einen älteren Mann, der mich sofort wie einen alten Freund begrüßt. Ich merke sofort, dass er der Psychologe sein muss, auch wenn er nicht so aussieht. Aber irgendwie weiß ich es. Rostislav heißt er, erfahre ich nach einer Zeit, und er ist schon über 30 Jahre im Space-Programm der Russen. Er betreute fast alle Besatzungen, die im All waren in dieser Zeit, und stand auch bei Notfällen auf der MIR (Brand im Jahr 1997 und Kollisions-Katastrophe mit einem Progress-Frachtschiff im Jahre 1999) der Besatzung mit Rat und Tat zur Seite. Igor fungiert als Übersetzer. Igor wird in diesen Tagen ein wahrer Freund für mich, dies bemerke ich immer mehr.
Igor übersetzt alles wortwörtlich, und ich erfahre, was ein Kosmonaut für eine Persönlichkeit sein muss. Rostislav analysiert mich, und binnen einer Stunde mit verschiedenen Tests wie Farbtests und Reaktionstests fühle ich mich durchleuchtet, aber auch irgendwie in meinem Vorhaben gestärkt. Ich muss z.B. an einer Stoppuhr beweisen, ob ich 10, 30 oder auch 60 Sekunden abstoppen kann, ohne die Uhr zu sehen. Da ich ein sehr visueller Mensch bin, gelingt mir das auf Anhieb, weil ich mir das Ticken des Sekundenzeigers auf einem Ziffernblatt gedanklich vorstellen kann.
Danach soll ich 50, 30 und 20 KG mit einem speziellen Messgerät drücken, nur so aus Gefühl. Erstaunlicherweise schaffe ich dies alles mit Bravour. Ich beginne, mich nicht mehr über meine Fähigkeiten zu wundern. Das Gespräch mit Rostislav dem Psychologen bringt mir sehr viel. Er bestärkt mich durch sein Charisma, welches er ohne Frage besitzt. Es kommt mir so vor, als würde ich ihn verstehen, ohne seine Sprache zu verstehen. Interessant ist der Einblick durch die Tür zur Space-Psychologie für mich.
Danach bekomme ich von Sascha die verschiedensten Anzugsgegenstände gezeigt, die ein Kosmonaut in der Kapsel hat. Unterwäsche, Flugoverall, Sweater, und dann sehe ich zum ersten Mal den Sokol Raumanzug (die Russen sprechen von einem „Skaphander“, das habe ich auch schon früher des Öfteren gehört). In echt habe ich den noch nie gesehen. Danach folgt der Forel-Überlebensanzug, der wasserdicht ist, wenn man ihn richtig anzulegen vermag. Diesen Forel-Anzug muss man im Bedarfsfall über alle anderen Kleidungsstücke anziehen.
Während ich versuche, mir die verschiedenen Dinge zu merken, passiert es unverhofft: Die anderen Crews sind schneller mit ihrem Dry-Training fertig als gedacht, und Valerij kommt zu mir und legt seine Hand auf meine Schulter: „Andreas, you will now make the dry training!“ Mir bleibt das Herz stehen: Er meint es wirklich ernst!
Also ab zum Arzt; eine halbe Stunde werde ich auf den Kopf gestellt: Blutdruck, EKG im Liegen und Sitzen und im Stehen. Alles okay, und 20 Minuten später sitze ich mit meinem Instruktor Sascha zum ersten Mal in der Soyuz Descent Capsule! Oh mein Gott, ist das eng hier, denke ich. Und hier soll ich mich komplett umziehen etc.? Sascha spricht kein Wort Englisch, die Luke steht offen, und Igor übersetzt seine Erklärungen ins Englische. Weia weia, da habe ich mich ja auf etwas eingelassen!
Sascha erklärt mir, was bei dem Umziehen alles zu beachten ist. Insbesondere kann es passieren, dass man mit irgendwelchen Körperteilen an den Schalter der Hauptenergieversorgung kommt und die Kapsel abschaltet. Das ist zwar nicht weiter kritisch, jedoch wird die Kühlung dann auch ausgeschaltet, und man sollte sehen, dass man sie so schnell wie möglich wieder einschalten kann. Ich wundere mich nicht darüber, denn auch schon so, wie ich in der Kapsel sitze, ist es schweineheiß, und ich habe nur kurze Hosen und ein T-Shirt an. Der Schweiß beginnt so schon zu laufen, das kann ja heiter werden!
Nach 15 Minuten Instruktionen wieder raus aus der Kapsel, und dann heißt es: Sokol-Druckanzug anziehen, und das entwickelt sich zu einer wahren Tortur. Die Instruktoren zeigen mir, wie man den Anzug am besten anbekommt; das allein ist schon Schwierigkeit genug.
An allen Seiten wird an mir rumgezerrt, und es wird richtig anstrengend. Der Schweiß beginnt in Strömen zu laufen, und weil ich es nicht auf Anhieb schaffe, das Oberteil des Anzugs über meinen Quadratschädel zu hieven, werde ich nervös. Es kommt mir so vor, als wären Hunderte von Augen auf mich gerichtet. Natürlich stehen viele um mich herum und glotzen, aber sie geben mir eher das Gefühl einer Sicherheit. Nach einigen Hürden ist es dann geschafft, und ich stehe in voller Montur in der Kabine, mit Sokol-Anzug.
Man sagt mir, es ist der größte, den es gibt, und er stammt auch noch aus früheren Tagen. Russische Kosmonauten sind etwas stämmiger als ihre europäischen und amerikanischen Kollegen. Die maximale Größe darf 1,84 m nicht überschreiten; nun gut, da habe ich ja noch 4 Zentimeter gut. Aber der Anzug ist hauteng und lässt einem nicht viel Bewegungsfreiheit. Nun verstehe ich auch die Bilder der Kosmonauten auf dem Weg zu ihrem Raumschiff: Etwas gebückt wie Affen schreiten sie daher, und ich komme mir beim Gehen nun vor wie ein Australopithecus der Urzeit!
Nun trage ich zum ersten Mal einen russischen Sokol-Anzug, und es erscheint mir die ersten Minuten unmöglich, mich anständig darin bewegen zu können. An den Schultern drückt er ganz gut, und in den anzugeigenen Schuhen rutschen meine Füße ziemlich hin und her. Dann machen wir uns auf den Weg zur Kapsel, hinaus aus der Kabine und die Leiter runter. Ich werde flankiert von Männern, die mich an allen möglichen Schlaufen und Ösen festhalten. Ich denke: Andreas, mach Dir keinen Kopf. Dir kann nichts passieren!
Dann hoch auf die Leiter, die Sicht ist sehr eingeschränkt durch das Klappvisier des Helmes. Aber irgendwie geht es dann. Ich setze mich auf den Rand der Descent-Kapsel, lasse die Beine in die Tiefe der Kapsel hängen und rutsche dann hinein.
Rechts ist mein Platz, mein Gott, im Raumanzug ist die Kapsel noch enger!
Ich bleibe beim Hineingleiten mit dem Helm an der Luke hängen, aber ich drehe die Schulter etwas nach rechts, dann geht es. Mein Herz beginnt zu pochen, und ich fühle, dass ich jetzt schon schweißnass bin.
Dann sitze ich auf meinem rechten Platz in der Kapsel und versuche, ruhig zu atmen. In der Ruhe liegt die Kraft, sage ich mir, Dir kann nichts passieren. Horrorstorys habe ich bisher noch keine gehört, also fühle ich mich sicher.
Ich versuche den Kopf nach rechts zum Bullauge zu drehen und sehe Rostislav mit seinem breiten Grinsen. Er reckt den Daumen nach oben, und ich tue es ihm gleich, auch wenn ich mich nicht zu hundert Prozent mit meinem Daumen im Einklang befinde.
Eine Minute später folgt Sascha, und die Luke über mir wird geschlossen. Ich komme mir vor wie ein Erdferkel in seinem Bau. Bewegung ist nicht möglich; erst als ich mich einigermaßen in die Sitzwanne gepresst und die Beine angewinkelt habe, wird es einigermaßen gemütlich.
So langsam bekomme ich ein Gefühl dafür, was es bedeutet, „to be a Cosmonaut!“
Nach einer kurzen Zeit geht es richtig los. Kontaktaufnahme mit dem Rettungsteam, unser Call-Sign ist „Ozeana Dwa“ (Ocean Two), das Bergungsteam heißt „Zarya“ (Sonnenaufgang). Ich denke an das Zarya-Modul der ISS.
Der erste Schritt: „Skaphander out!“.
Oh mein Gott, das Anziehen war schon schwierig genug, und nun dasselbe in der anderen Richtung in dieser Kapsel. Sascha schaltet die Hauptstromversorgung ein, und die Lüftung wird angeschaltet. Mein Herz beginnt zu pochen, aber Sascha strahlt eine vornehme Ruhe aus, und ich denke an Ed, der mir sagte: „Not in a hurry!“. Okay, Andreas, not in a hurry!
Das Ausziehen des Sokols erweist sich als martialische Tortur. Das Helm Teil muss über den Kopf gezogen werden, und das ist bei weitem nicht einfach! Man muss den Hals wie eine Schildkröte in Richtung Schultern drücken und versuchen, den Rücken ganz gerade durchzudrücken. Zu gleicher Zeit drückt man mit beiden Händen gegen den Metallring, wo der Helm in einem Stück an den Anzug angepasst ist. Dies nun in der Kapsel zu machen ist nicht einfach, und ich rede hier von einem Platz, der wahrscheinlich nicht mal 3 Kubikmeter groß ist!
Nach 5 Minuten flutscht der Aluminium-Ring über meinen Schädel, und ein erstes Aufatmen von meiner Seite her folgt. Sascha grinst. Ja, denke ich bei mir, grins Du nur. Du sitzt da im T-Shirt, und ich muss mir hier einen abschwitzen. Aber so negativ sind meine Gedanken dann auch wieder nicht.
Nachdem ich mich dann meines Sokols entledigt habe, wird mir gezeigt, wie man ihn am besten zusammenlegt und wo man ihn verstaut. Er wird in die Sitzwanne gedrückt, da scheint er auch am besten aufgehoben zu sein. Dann wird der Overall angezogen. Ich komme mir vor wie ein kleines Kind, dessen Windeln gewechselt werden. Sascha unterstützt mich dabei, und dann ist der Overall schon bis zur Hüfte hochgezogen. Die Temperatur in der Kapsel steigt und steigt, ich schätze mal so auf 50 Grad. Aber das Wichtigste in der Kapsel: Ruhe bewahren. Schritt für Schritt, und langsam den nächsten Schritt machen, und sich vor allen Dingen nicht überanstrengen. Mein Puls rast dahin, und ich werde via Funk vom Rettungsteam gefragt, wie es mir geht: Nun denke ich, mir ist es schon einmal besser gegangen, aber so schlimm ist es nun auch nicht. „All is okay!“ melde ich ins Funkgerät, und die Anziehaktion geht nun weiter.
Nun folgt der Kälteschutzanzug. Auch das Anziehen wird zur Tortur. Ich muss mich recken und strecken. Dies ist für einen Mann meiner Statur nicht einfach! Nachdem dies geschafft ist, der Nässeschutz. Auch er wird nur bis an die Hüften hochgezogen. Dann folgen der Sweater und eine Wollmütze.
Dann die nächste Hürde: Der Wasseranzug „Forel“, ein aus Gummi bestehender Ganzkörperanzug. Ich mache eine kurze Pause, und Sascha reicht mir einen Schlauch, aus dem kühle Luft kommt. Es ist keine Klimaanlage, sondern nur ein Kühlschlauch, der bestehende Luft in der Kapsel umwälzt und wieder nach einer Reinigung hinausströmen lässt. Dieser Schlauch ist normalerweise während des Sitzens in der Kapsel mit dem Sokol verbunden, doch den habe ich nun gottseidank nicht mehr an. Zwischendurch fragt das Rettungsteam nach meinem Puls: Sascha bekommt ein Signal, und er beginnt, 15 Sekunden lang meinen Puls zu messen. Ich schätze ihn mal auf 140 bis 150; genau erfahre ich es nicht, weil ich kein Russisch verstehe. Aber es wird gehen, ich bin noch nicht am Rande eines körperlichen Zusammenbruchs. Ich denke nur daran, dass man diese Umziehaktion normalerweise mit 3 Crew Members gleichzeitig macht, aber das wird wohl nacheinander gehen.
Ich ziehe den Forel über meine Beine bis zur Hüfte, danach richtet Sascha die anderen Sachen an mir so aus, so dass ich sie nacheinander über die Schultern ziehen kann. Oh, ich komme mir immer mehr vor wie ein kleines Kind, mir ist die Sache sehr peinlich. Sascha strahlt eine Ruhe aus, die bemerkenswert ist, und ich lasse mich von ihm anstecken. Ich denke wieder an meinen Zimmergenossen Ed: „Not in a hurry!“
Die verschiedenen Anzüge ziehe ich mir über den Kopf, die Hitze wird unerträglich, eine Sauna ist eine Wohltat dagegen. Da kann man sich wenigstens bewegen!
Aber ich fühle mich nicht schlecht, mir ist es in meinem Leben schon mal schlechter ergangen. Es ist eine unglaubliche Herausforderung für mich, jedoch ist sie nur schwer zu beschreiben, wenn man sie nicht selbst erlebt hat.
Das Survival-Pack wird mir von Sascha an meinem Körper angeleint, dann Kapuze über den Kopf und festziehen. Ich komme mir vor wie ein Pinguin, auch wenn der Anzug „Forel“ heißt. Aber wenn ich so richtig darüber nachdenke, ist mir der Name des Anzugs auch irgendwie klar: Man kann sich im Wasser mit dem Anzug wie eine Forelle bewegen!
Dann öffnet Sascha die Luke über uns, und ich versuche, mich nach oben zu hieven. Es funktioniert, und die Sonne brennt in meinen Augen. Aber das ist kein richtiges Problem; die Bewegung mit den verschiedenen Anzügen ist nicht einfach. 4 Schichten von verschiedenen Anzügen sind unter dem Forel, Bewegung ist fast unmöglich. Ich bleibe einige Sekunden in der Luke stehen, und was nun folgt, geht wie in Trance: Ich sitze auf dem Luken Rand der Kapsel, versuche meine Beine über den Rand zu hieven. Irgendwie geht es, und ich stehe. In 9 Metern Tiefe erhasche ich einen kurzen Blick von der Oberfläche des Schwarzen Meeres. Dann merke ich Dutzende von Händen an mir, die mir helfen. Nur nicht abrutschen, und wenn doch, ist eine helfende Hand sofort zur Stelle. Ich krieche die Leiter hinunter, so wie ich gekommen bin.
Erst als ich auf dem Deck des Schiffes stehe so in meinem Anzug, bemerke ich, dass ich nicht nur von helfenden Händen des Bergungsteams umgeben bin: Die gesamte Besatzung steht um mich herum. Es wird fotografiert, und viele freundliche Gesichter blicken mich an. Und die Amerikaner erst: Sie können es nicht fassen!
Ihr Missmut mir gegenüber als „Touri“ scheint verflogen zu sein, und sie machen Bilder – wir dürfen von ihnen keine Bilder machen. Nun scheinen sie aus dem Häuschen zu sein, und das erste Gesicht, das ich nach meiner Tortur wahrnehme, ist das des amerikanischen Arztes Rick. Nachdem ich mich in meiner Montur auf eine Bank gesetzt habe, sehe ich, wie einer der Ärzte vor mir steht und meinen Namen ruft.
Es bleibt mir nur kurze Zeit, ihn zu lokalisieren, dann habe ich schon einen Eimer mit Eiswasser in meinem Gesicht. Ein Eisbeutel wird mir auf den Kopf gelegt. Fühlt sich sehr gut an, oh – die Erde hat mich wieder. Hmmm, die Erde? Ich war doch gar nicht im All. Helfende Hände zerren mir die vorher angelegten Kleidungsstücke vom Körper, und der Arzt übergießt mich wieder mit Eiswasser. Schocktherapie in Vollendung!
Hier bemerke ich die Herzlichkeit der Russen in Vollendung. Es ist einfach unglaublich. Erst viel später nach einer Dusche und einer folgenden Untersuchung ärztlicherseits wird mir bewusst, dass ich in einer 3 Kubikmeter großen Kapsel saß, in der so an die 60 Grad herrschte, bei einer Luftfeuchtigkeit von 100 Prozent!
Später sagt Michael: Das hat ne Stunde gedauert! Für mich waren es Tage oder Minuten, ich bin mir da nicht so sicher. Ich bin froh: nicht darüber, dass ich es überstanden hätte, sondern dass ich das Dry Training vollendet habe. Ohne die tatkräftige Unterstützung von Sascha wäre mir das wohl unmöglich erschienen! Ich erfahre, dass Sascha ein MIG-29 Kampfpilot war, bevor er ins Astronautentraining aufgenommen wurde. Er durchlief 2 Jahre das Training, bis man feststellte, dass er wohl nie ins All fliegen dürfte: Er hat eine kleine Erkrankung am Herzen. Nichts Besonderes, jedoch ausreichend dafür, dass er nie fliegen dürfte.
Abends nach 19.00 Uhr sind wir wieder an Land. Nach dem Abendessen noch ein Bier mit Igor und Michael. Irgendwie bemerke ich, dass die Leute der Crew und des Teams mich akzeptiert haben. Dass dies nicht einfach ist, ist mir auch klar, schließlich haben sie es noch niemals mit jemandem zu tun gehabt, der kein Professional ist. Ich erfahre, selbst Dennis Tito hat dieses Training nicht gemacht, weil er „keine Zeit“ hatte. Unvorstellbar. Zwischen mir und Igor ist was ganz Besonderes, vielleicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?
Gegen 23.00 Uhr falle ich, nachdem ich mein Tagebuch weitergeschrieben habe, in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Tag soll ich das Short Training machen: Auf See aus der Kapsel ins Meer mit dem Sokol. Nun, wenn es weiter nichts ist!
Schwimmhäute und andere Kleinigkeiten – 15.09.2001
9.30 Uhr
Wieder auf dem Schiff. Heute soll ich ja bekanntlich das Short Training machen, der Ausstieg aus der schwimmenden Kapsel mit dem Sokol. Mein Nacken schmerzt, und ich bekomme eine wohltuende Massage von Rostislav.
Danach gibt es wieder Unterweisungen von Sascha. Ich erfahre, dass er die nächsten Tage nicht nur mein Instruktor ist, sondern auch mein Kommandant. Ich werde nicht mit richtigen Kosmonauten trainieren, dies ist mir eigentlich auch ganz klar, schließlich haben die Jungens ihren Flug und müssen sich auf andere Dinge konzentrieren als auf mich, dass „Space Baby“. Alle sind mir gegenüber lockerer geworden, seitdem ich gestern bewiesen habe, dass ich das, was die Professionals machen, auch kann. Sie geben mir die Hand, nehmen mich in die Arme und lachen viel. Sie haben mich als einen der ihren akzeptiert, denke ich.
Auch die Amerikaner sind nicht mehr oberflächlich-freundlich, sondern sie meinen es ernst. Vielleicht können Sie es nicht verstehen. Da kommt so ein Internet-Fred aus Deutschland und macht es ihnen nach. Darüber nachzudenken ist schon recht witzig.
Sascha zeigt mir die Handgriffe, die man beherrschen muss, wenn man die Kapsel verlässt. Und kaum geübt und besprochen, folgt auch gleich die Praxis: Über die Schiffsleiter steige ich in Richtung Wasser und muss die Bewegungsabläufe vormachen: Nach links und rechts über die Schulter gucken, Handbewegung fürs Wegwerfen des Survival-Packs, Draht im Helm ziehen, damit sich der Halsbereich des Anzugs an den Hals heranzieht und ihn somit dicht macht, Helm ein wenig schließen.
Ich halte meine Beine geknickt, mache die Handbewegung mit der freien Hand zum Ergreifen des rechten Floating Devices (dieser Begriff wird mir wohl nie mehr aus dem Kopf gehen, genauso wenig wie die Begriffe „Descent Capsule“ und der Satz „We must remind you!“) und lasse die Treppenstufe einfach los, mache mit beiden Armen die Bewegung vom Körper weg (Simulation zum Ziehen des Floating Devices) und falle rückwärts in Richtung Wasseroberfläche – tauche in das Schwarze Meer ein. Schwapps. Nur einige Sekunden später tauche ich wieder auf und bekomme Hinweise, was ich vergessen habe oder was ich besser machen könnte. Sascha ist im Wasser, ein Taucher ist um mich herum, von der Bordwand von oben sehe ich Irina, die wieder alles ins Englische übersetzt, Igor und Michael, der mich bei meinen Aktivitäten filmt.
Viermal mache ich die „Nass-Trocken-Übung“, bis ich es nach Meinung von Sascha in Vollendung beherrsche.
Danach folgt die Übung im „scharfen“ Floating Device. Es klappt alles, ich falle ins Wasser, das Device bläst sich unter meinen Armen auf und bringt mich wieder an die Wasseroberfläche zurück! Uff, der zweite Schritt in Richtung „Survival Training“ ist getan!
Nach dem Mittagessen bekomme ich die Anweisung zu schlafen. Erst in drei Stunden soll es für mich zum Short Training kommen. Es kommt leider anders: Da verschiedene Dinge in der Descent Capsule ausgetauscht werden müssen, verschiebt sich der gesamte Ablauf. Ich erhalte die Nachricht: Für mich gibt es heute kein Training mehr, da die Professionals zuerst alle ihr Long-Term-Training machen müssen. (Long Term bedeutet dasselbe Prozedere, welches ich einen Tag vorher auf dem Deck in der Kapsel gemacht habe, nur auf dem Wasser). Dafür habe ich selbstverständlich Verständnis, und denke auch, wegen der Blessuren an meinem Körper und meinem „steifen Genick“ kommt es mir eigentlich nicht so ganz unrecht.
Morgen soll ich dann mein „Long-Term-Training“ machen, direkt als allererste Crew (von diesem Tag an nennt man uns Crew 3), – mit Sascha zusammen, er auch im Sokol und auf offener See! Nun gut, eine Gnadenfrist, denke ich, und somit bin ich wieder im normalen Ablauf, wie die Professionals auch.
Ich nutze also den halben freien Tag, um mit Igor von der Schiffswand zu springen und zu schwimmen. Ich unterhalte mich mit ihm über alle möglichen Dinge und bemerke, das wir uns seit gestern gewaltig angenähert haben, und dies erfreut mich. Auch gehen wir zusammen in die schiffseigene Sauna für zwei Stunden, was meinem geschundenen Körper ganz gut tut. Erst gegen 17.00 Uhr tauchen Paul Richards und Sergej Volkow mit der Kapsel ins Meer, und ich beobachte sämtliche Tätigkeiten, als sie wieder aus der Kapsel auftauchen.
Oh mein Gott, denke ich, - morgen bist du dran.
Und ich spüre meine Knochen recht gut. Aber ich weiß, es wird gut gehen. Mir kann nichts passieren, und ich fühle eine Stärke in mir! Abends meint Ed zu mir: Nimm um Gottes Willen Tabletten gegen Seekrankheit! Egal, ob Du sie brauchst oder nicht, nimm sie einfach. Sie schaden Dir nicht!
Sea Sickness or not- this is the question! – Eine Wiedergeburt! – 16.09.2001
Der vierte Tag in Russland. Ich komme mir vor, als wäre ich schon Wochen hier. Nach einem ausgiebigen Frühstück gehen wir zum ersten Mal zu Fuß zum Strand, wo uns das Zubringerboot abholt. Das Meer ist ruhig, und heute geht das zum ersten Mal; die letzten Tage sind wir bekanntlich mit dem Bus zum Sochi-Hafen gefahren, wo das Schiff am Kai lag. Nach einer halbstündigen Wartezeit fahren wir mit dem Zubringerboot zur SB-36.
Mit meinem Instruktor Sascha, der nicht nur mein Commander ist, sondern mittlerweile ein guter Freund (ich bezeichne ihn als meinen Vater, meine Mutter, meine Schwester, meinen Bruder – weil er mir unglaublich in meinen Situationen an den Tagen zuvor unter die Arme gegriffen hat!) bilden wir die 3. Crew, die an diesem Morgen das Long-Term Training absolvieren soll.
Nach dem morgendlichen medizinischen Check-Up beginnt die Warterei, bis ich wieder meine Unterwäsche erhalte für den Sokol-Raumanzug. Vorher sprechen Sascha und ich noch kurz miteinander in meiner Kabine, dann geht es in die Umkleidekabine, und ich ziehe den Sokol an. Heute fällt es mir schon wesentlich leichter, da ich die Handgriffe beherrsche. Der Instruktor ist mit dem Anlegen des Sokols sehr zufrieden. Mit der Zeit bekommt man ein Händchen für solche Fertigkeiten. Besonders das Ding über den Kopf zu ziehen ist einfacher als beim ersten Mal, auch wenn ich seitdem 3 Zentimeter kleiner geworden bin, so wie es scheint.
Nach gut 20 Minuten sind wir dann soweit vorbereitet. Ich fühle mich gut, aber ich schwitze sehr stark, der Tag ist sehr heiß. 10 Minuten später sitze ich mit Sascha in der Descent Capsule und nach kurzer Zeit bemerken wir, dass wir mittels des Schiffskrans das Mutterschiff verlassen. Sanft wird die Kapsel zu Wasser gelassen, doch dann hängt sie schief im Wasser, was ich an den vorangegangenen Tagen schon beobachten konnte. Sie hängt nach meiner Seite schief im Wasser, und ich sehe, als ich durch das Fenster blicke, dass sie dort unter Wasser liegt. Dies beängstigt mich nicht.
Es erfolgt ein Funkcheck, und dann werden wir mit Schlauchbooten 150 Meter weit vom Schiff weggezogen.
Dann beginnt die Warterei! Wir wissen nicht, wann der Befehl des Bergungsteams kommt, die Anzüge auszuziehen und uns in andere zu zwängen.
Es wird heißer in der Kapsel. Wir machen die Versorgungsschläuche vom Sokol ab, damit wir die Frischluft ins Gesicht bekommen.
Wir gehen nochmals das Prozedere durch und irgendwann kommt der Befehl von Valerij auf Russisch: Vorbereiten zum Verlassen der Kapsel.
Der Stress kann beginnen, das Ausziehen des Sokols in der Enge der Kapsel, nun zum zweiten Mal für mich. Aber es geht auch schon – wie das Anlegen des Anzugs am Morgen – einfacher! Übung macht halt den Meister!
Jedoch ist es nicht einfach, weil der Schweiß die innere Gummihaut des Anzugs mit meiner Haut verschweißt wie Sekundenkleber. Nach 10 Minuten ist der Anzug aus, und wir legen eine kleine Pause ein. Wiederum wird er in den Wannensitzen verstaut, so dass man drauf sitzen kann. Ich merke, dass mein Puls ansteigt, jedoch nicht so stark wie während des Dry-Trainings zwei Tage zuvor.
Dann folgt das Anlegen des Flight Dress. Das ist eine Art Hosenanzug, und er wird bis zur Hüfte hochgezogen. Im Gegensatz zum Dry-Training am Freitag (Oh mein Gott!) geht alles viel einfacher. Ich helfe Sascha, wo ich nur kann, er muss mir nicht mehr so viel helfen; ich denke, ich bin aus dem „Babyalter“ herausgekommen. Dann folgt der Kälteschutz in der selbigen Art und Weise bis zur Hüfte; er ist aus leichten Stoffen, die jedoch im Extremfall sehr warmhalten werden. Zwischendurch legen wir eine Pause ein, um uns zu erholen und uns gegenseitig mittels der Kühlschläuche Luft zuzuführen.
„Nimm Tabletten gegen Seekrankheit!“ sagt mir Ed Lou in meinem Kopf, und als ich so darüber nachdenke, bemerke ich ein „Unwohlsein“ in meinem Magen.
Oh, bitte nicht. Nicht jetzt und bitte nicht hier! Sascha bemerkt dies und gibt mir den „Kotzbeutel“ für den Notfall! Verdammt, warum habe ich heute Morgen nicht zu den Docs gesagt, sie sollen mir was geben?? Nun habe ich den Salat. Ich versuche langsamer zu atmen, um mich ruhiger zu bekommen, was mir auch gelingt. Das flaue Gefühl im Magen ebbt ab und es kann weitergehen. Ich hoffe, ich muss mich nicht übergeben. Zur Sicherheit stecke ich mir den Finger in den Hals, aber es bleibt alles dort, wo es ist. Die Kapsel wackelt ganz schön auf den Wellen, und die Hitze steigt ins Unermessliche.
Nach dem Anlegen der verschiedenen Anzüge (der Mageninhalt bleibt da, wo er ist, obwohl es nicht einfach ist, ihn dort zu behalten!) folgt mein geliebter Forel Suit. Eine zweite Gummihaut, die dann mittels Kopfhaube wie ein „Ganzkörperkondom“ am Körper liegt. Er garantiert das Überleben für 36 Stunden in 0 Grad kaltem Wasser, aber das erwähnte ich ja bereits! Danach legen wir das Floating Device an, welches wir uns gegenseitig umschnallen. Nachdem der Sitz richtig überprüft worden ist, hängen wir mittels einer Leine unsere Survival Packs an uns heran, genau dasselbe Prozedere wie beim Dry-Training. Nachdem der Sitz und die Dichtigkeit überprüft worden ist, öffnet Sascha die Luke der Kapsel; helles Licht flutet in sie hinein. Dann erfolgt der Ausstieg, ich soll zuerst aussteigen. Ich muss noch bemerken, dass ich leider nur zwei linke Handschuhe in meinem Kit vorfand, welches die Bewegung meiner Hände doch schon sehr einschränkt.
Ich klettere hoch. Wow, frische Luft, die auch noch angenehm kühl ist, umgibt mich. Ich sehe drei oder vier Schlauchboote um die Kapsel herum, und auf der Kapsel steht ein Arzt der Truppe und fragt mich, ob alles okay ist. Normalerweise ist nur ein Arzt auf den Booten, an diesem Tage extra für mich zwei. Ist ja auch kein Wunder. Sergej, der jüngere Arzt lacht mich an, als ich ihm zu verstehen gebe, dass bei mir alles okay ist. Ich spüre die Hitze an meinem Körper, und ich weiß: Junge, noch eine Minute, und du liegst im Wasser!
Ich sitze auf der Öffnung, die Kapsel ist nach hinten zu meinem Rücken hingeneigt. Ich ziehe mein Survival Kit aus der Kapsel, blicke mich über die rechte und linke Schulter um und schmeiße das Survival Kit ins Wasser. Dann stehe ich auf, die Knie angewinkelt, und halte mich mit einer Hand an der Kapsel fest.
Noch 10 Sekunden, denke ich bei mir, dann liegst Du im Wasser!
Dann lasse ich einfach los und falle rückwärts. Ich tauche ein in das Schwarze Meer. Uff, ist das eine Wohltat, und ich fühle mich wie neu geboren. So muss das Gefühl sein, wenn man auf die Welt kommt, denke ich einige Sekunden lang, und als ich flach auf dem Wasser liege, gebe ich einen Freudenschrei von mir, egal, ob es jemanden stört.
Uff, ist das eine Wohltat. Die Hitze ist vergessen, mein Gesicht bekommt viel Wasser ab. Es platscht neben mir: Sascha hat die Kapsel ebenfalls verlassen.
Ich treibe umringt von Booten und Tauchern auf dem Rücken im Schwarzen Meer und kann kaum etwas sehen wegen der Sonne. Ich fühle mich einfach nur großartig!
Trotzdem vergesse ich nicht, was ich hier mache: Ich mache einen Survival-Kurs. Also ziehe ich an der Leine mein Survival Kit heran, es ist der Wasservorrat.
Ich lege das Pack auf meine Brust und warte, bis Sascha sich mir genähert hat und wir uns gegenüber liegen. Unsere Beine umschlingen sich, und wir beginnen, mit den Survival Kits zu arbeiten: Wir zünden das Nacht- und Tagleuchtfeuer, trinken und essen. Das ist nicht so einfach, wie man es sich vorstellt: Man liegt auf der Wasseroberfläche und wird ganz schön durchgeschaukelt. Wasser schmeckt nach Salz und die Rationen auch. Aber Space Chocolade im Schwarzen Meer ist ja auch mal etwas vollkommen Neues!
Nachdem wir gegessen und getrunken haben und den Survival Kit eingesetzt haben, bilden wir eine Reihe hintereinander und rudern mit gleichmäßigen Ruderbewegungen in Richtung Rettungs-schlauchboot. Kräftige Hände zerren an uns herum, und wir werden an Bord gehievt. Beim Aussteigen habe ich einige Schwierigkeiten, da mein Forel-Anzug nicht ganz dicht war. Einige Liter Wasser stehen mir an beiden Beinen im Anzug bis an die Knie! Weia, denke ich, gut, dass dies nur eine Übung war, in Wirklichkeit hätte ich wohl keine Chance gehabt!
Der Aufstieg an der Schiffsleiter hinauf ist sehr beschwerlich, aber nach den Strapazen ist es trotzdem ein Kinderspiel. Versuchen Sie mal, in übergroßen Gummistiefeln zu gehen, die voll mit Wasser sind! Ich werde an Bord stürmisch begrüßt. Ich mache es mir bewusst, dass ich heute der erste Erdenbürger geworden bin, der als Zivilist das Long-Term-Training gemacht hat und nicht Angehöriger eines Space-Programms ist. Kaum zu glauben. Es fällt mir schwer, diesen Gedanken neben den vielen Eindrücken pro Sekunde auch noch zu verarbeiten.
Abends gibt es eine lange Verabschiedungsfeier mit allen Beteiligten. Wir sitzen an einem langen Tisch und essen Schaschlik, den besten, den ich je in meinem Leben gegessen habe. Ich würde so gerne mehr trinken – der russische Vodka ist nicht so schlimm, wie der Westen behauptet. (Man muss nur zwischendurch ein paar Gläser Wasser trinken!).
Ich unterhalte mich lange mit Valerij. Sieh an, er kann perfekt Englisch sprechen, dachte ich mir doch. Wir unterhalten uns über das Training und andere Dinge, und ich bemerke, dass er stolz auf mich ist. Er hätte nie gedacht, dass ich dieses Training schaffen würde. Für alle Beteiligten ist es eine neue Erfahrung, für die Crew, die Ärzte, für die Astro- und Kosmonauten, und vor allen Dingen für mich.
Er sagt: Sei stolz auf Dich selbst. Du hast es gemacht, nicht wir.
Ich hätte mir so etwas bestimmt nicht zugetraut, und nun habe ich es gemacht. Ich fühle mich nicht schlecht bei diesem Gedanken, zugegebener Weise.
Gegen halb eins gehe ich in mein Zimmer, rauche noch eine auf dem Balkon und falle anschließend in einen tiefen Schlaf.
Abschluss-Training oder „I´m sorry to leave Russia!“ – 17.09.2001
Heute ist ein besonderer Tag für mich. Das letzte Mal auf der SB-36. Man stelle sich nur einmal vor: Ein ganzes Schiff samt Besatzung und Bergungsteam fährt für mich hinaus auf das Schwarze Meer!
Igor, Michael und ich haben schwere Last zu tragen: 15 Flaschen Champagner für die Crew wollen bewegt werden. Es ist nicht als Abschiedsfeier gedacht, sondern als Wiederkehrens-Feier. In Russland redet man niemals über das letzte Mal oder den letzten Flug!
Um 9:00 Uhr sind wir auf Position, ungefähr 4 Kilometer vor der Küste. Dann beginnt für mich das Procedere, welches ich von den vergangenen Tagen kenne: Ärztlicher Check, Unterwäsche wechseln. Danach sitze ich mit Sascha in meiner Kabine und fachsimple. Das Besondere für mich ist, dass er nur sehr wenig Englisch spricht, wir uns aber trotzdem verstehen. Danach wird es ernst: Heute absolviere ich mein Abschlusstraining, das sogenannte „Short Training“.
Der Schnellausstieg mit dem Raumanzug Sokol wird geübt. Man sagt mir, das Schlimmste hätte ich gestern geübt, im Long-Term Training. Aber trotzdem bin ich angespannt.
Dann geht es los: Wir gehen zum Umkleideraum zum Anlegen des Sokols. Heute beherrsche ich es ganz allein, man ist sehr zufrieden mit mir. 15 Minuten später ist der Sokol perfekt angelegt, und wir machen noch vor der Tür der Umkleidekabine ein Photo mit dem Banner des Sponsors „Photo Dose“ aus Bremen. Ach ja, ich komme mir an diesem Tag vor wie ein Model auf dem Laufsteg.
Dann machen die Jungs noch mehrere Fotos von Sascha und mir mit dem „Photo Dose Banner“ vor der Descent Capsule. Ich bemerke, dass die gesamte Besatzung des Schiffes anwesend ist. Ich freue mich: Aufgeregt bin ich nicht, aber ein wenig angespannt. Ich komme mir vor, als würde ich zum Mond oder zur ISS fliegen. Es scheint ein toller Tag für mich zu werden. Als erster klettere ich die Leiter empor, und eine Minute später sitze ich auf dem rechten Sitz. Sascha folgt und als er in der Mitte sitzt fragt er mich: „Charachow?“
Ich halte den Daumen nach oben. Ich bemerke, wie der Schweiß wieder beginnt zu fließen. Aber es ist nicht unangenehm. Ein Ruck, und wir bemerken, wie die Descent Capsule nach oben gehievt wird. Wenige Minuten später sind wir im Wasser, die Kapsel neigt sich wieder bedrohlich nach der rechten Seite zu mir hin. Ich blicke wieder nach rechts durch das Fenster und sehe, dass es unter Wasser liegt.
20 Minuten später sind wir auf „offener See“.
Nun beginnt wieder das Warten. Ich denke über die letzten Tage nach und mache mir Gedanken. Teilweise kam ich mir vor, als wäre ich ein Delinquent auf dem Weg zum Schafott. Wir setzen uns bequemer hin und entspannen uns. Mittels der Luftschläuche, aus denen angenehme kühle Luft strömt, kühlen wir uns gegenseitig unsere Gesichter. Ich denke an die Kosmonauten, die im All waren. Ich denke darüber nach, dass Space nicht im Weltraum anfängt, sondern hier auf der Erde. Das war mir auch schon vorher klar, nur nicht ganz so bewusst. Die letzten Tage haben mein Denken ein klein wenig verändert. Nach 50 Minuten kommt dann der Befehl von Valerij: „Emergency escape!“, und wir legen unsere Floating Devices an. Auch das beherrsche ich nun in Vollendung, jeder Handgriff sitzt.
Dreimal gemacht, immer gemacht, denke ich.
Wir bereiten unsere Survival Kits vor und verschnüren sie mit unseren Anzügen.
5 Minuten später wird die Luke durch Sascha geöffnet, und ich gehe wie die Tage zuvor als Erster hinaus. Es ist nicht einfach, mit dem Sokol aus der Kapsel zu gelangen, aber ich kenne schon aus den vorhergehenden Trainings die Kniffe, wie man sich drehen muss, um ohne Probleme nach draußen zu kommen. Die Sonne brennt, und ich sehe, als ich durch die Kapselluke nach oben komme, freundliche und bekannte Gesichter. Nun das eingeübte Prozedere: Hinsetzen, persönliches Survival Kit aus der Kapsel ziehen, nach links und rechts über die Schulter schauen.
Ich werfe den Survival Kit nach rechts ins Wasser.
Dann stehe ich auf und halte mich am oberen Rand der Luke fest. Unten kann ich in der Kapsel Sascha sehen, der mir folgt. Helm schließen, rechte Hand an das Floating Device rechts, mit den Augen fixiere ich das linke und lasse los: Ich falle rückwärts ins Wasser und ziehe mit beiden Armen am Floating Device, als ich spüre, dass ich auf die Wasseroberfläche aufschlage.
Ich tauche ins Wasser ein, die Schwimmhilfen links und rechts werden unter meinen Armen aufgeblasen wie zwei Tage zuvor, als ich diese Übung von der Schiffsleiter aus machte. Sekunden später bin ich wieder an der Wasseroberfläche und sehe, wie Sascha die Kapsel direkt nach mir verlässt.
Auf einem der Boote ist auch Igor, der mich fotografiert. Ich glaube, so oft bin ich noch nie in meinem Leben fotografiert worden wie in den letzten Tagen!
Überall Kameras, die auf mich gerichtet sind.
Dann beginnen wir mit Übungen im Wasser; die Leuchtsignale für Tag und Nacht werden gezündet. Wir halten uns gegeneinander mit den Füssen fest. Es wird weiter gefilmt und fotografiert!
Dann bilden wir zum Schluss wieder eine Reihe und rudern gleichmäßig zusammen rückwärts zum Rettungsboot, auf welches wir dann gezogen werden. Ich als erster, die Rettungsmannschaft zieht uns rückwärts hinauf, und wir fahren zum Schiff zurück. Ich habe es tatsächlich geschafft.
Und ich habe es selbst getan. Für mich und mit mir zusammen! Unvorstellbar!
Auf dem Schiff bekomme ich Beifall. Alle stehen dort und wundern sich, oder auch nicht. Nun habe ich als erster Zivilist das komplette Water Survival Training durchlaufen: Dry Training, Long-Term-Training und Short Training. Tito hat es nicht gemacht da er keine Zeit hatte, Shuttleworth nur halb, und ich ganz. Somit weiß ich, warum Igor meinte „First time to do that with a civilian.“
Raus aus dem Skaphander, unter die Dusche. Ich bin so stolz auf mich selbst. Rostislav der Psychologe sagt zu mir: Du hast es geschafft. Er hat es von Anfang an gewusst.
Nach der Dusche bekomme ich viel Besuch: Jeder gratuliert mir und schüttelt mir die Hand. Ich erfahre, dass das gesamte Schiff stolz auf mich ist. Es gab schon genügend Astro- wie auch Kosmonauten, die schlecht abgeschnitten haben, auch welche, die bewusstlos geworden sind in der Enge und Hitze der Kapsel.
Klasse, dass ich das jetzt erfahre, denke ich, aber es ist richtig so: Wenn man mir das vorher gesagt hätte, wäre ich mit wackelnden Knien dort eingestiegen. Und später erfahre ich auch, dass es auch einmal einen schlimmen Unfall gab, bei dem ein Kosmonaut ertrunken ist! Klar hat man mir das vorher nicht gesagt!
Danach folgt am Bug des Schiffes das Abschluss-Briefing mit allen Instruktoren. Sie sind sehr zufrieden mit mir: Für alle Beteiligten war es eine Erfahrung, selbst für die Ärzte: ich bin weder Leistungssportler, Fallschirmspringer oder Einzelkämpfer.
Nach dem Mittagessen dann ein Empfang für alle Besatzungsmitglieder: Ich bekomme ein Zertifikat – das erste, das das Juri Gagarin Cosmonaut Training Centre jemals für einen Zivilisten ausgestellt hat – für das Water Survival Training. Dort steht, dass ich diese Honoration dafür erhalte, dass ich das Training mit Erfolg bestanden habe.
Ich spüre Tränen in den Augen, als ich das Zertifikat erhalte und in den Händen halte. Ich wende mich mit einer kleinen Ansprache an die Crew und danke ihnen auf das Herzlichste: Ohne die Crew wäre dies alles nicht möglich gewesen.
Ich habe vor allen Dingen eines gelernt: Selbstaufgabe und Selbstaufopferung. Nur im Team ist dies alles möglich, und ich weiß jetzt zumindest, welche Strapazen nach einem Raumflug auf einen zukommen können!
Danach wird uns noch eine besondere Ehre zuteil: Wir speisen in der Kapitäns-Kajüte mit den Chefs des Schiffes. Ich fühle mich sehr geehrt und bin auch sehr bewegt.
Um 15.00 Uhr verlassen wir das Schiff. Ich bin aufgewühlt wie selten zuvor, als ich das Schiff am Horizont verschwinden sehe. Man muss sich nun vorstellen: Es gibt nun ein Schiff im Schwarzen Meer, welches riesige Aufkleber trägt vom Hauptsponsor „Photo Dose“, und einige Besatzungsmitglieder tragen die T-Shirts meiner Firma …
Zwei Stunden bleibt noch Zeit: Wir feiern kurz am Strand Café in Sochi Igors 44. Geburtstag. Er meint zu mir: „This is the best birthday in my life!“. Ich blicke ihn verschämt an.
Auch Sergej Wolkow sitzt mit am Tisch. Ich will dieses Land und die Leute nicht verlassen! Auch nehme ich den Stillsten der russischen Kosmonauten wahr, Yuri Ivanovich Malenchenko. Er war auch bereits zweimal im All: Vom 1. Juli bis 4. November war er Commander der MIR 16-Mission und vollzog das erste manuelle Docking-Manöver eines Progress-Transporters. Weiterhin war er als Mission Specialist bei der STS-106 vom 8. bis 20. September 2000 an Bord des Space Shuttle Atlantis, wo Vorbereitungen für die erste Besatzung der ISS getroffen worden sind. Erst jetzt wird mir klar, mit welchen Leuten ich es hier zu tun habe!
Nach zwei Bier ins Hotel zurück. Nun heißt es packen, Abschied nehmen von Kudepsta, um 19.00 Uhr sollen Michael und ich abgeholt werden.
Valerij, der Chef des Trainingsteams, verabschiedet mich herzlich, wir tauschen Visitenkarten aus. Igor fährt mit zum Flugplatz, und wir checken ein.
Das Schlimmste für mich ist, Igor zu verlassen. Natürlich auch die anderen, klar, aber mit Igor verbindet mich mehr als nur ein paar Tage hier. Denke ich zumindest heute. Was die Zukunft bringen wird, werden wir sehen. 2 Stunden müssen Michael und ich noch warten, dann fliegen wir mit einer Iljuschin 86 nach Moskau zurück. Ich bin müde, aber andererseits auch aufgedreht. Viele Gedanken gehen mir im Kopf herum, viele Gesichter tauchen auf und verschwinden wieder.
Vor einigen Wochen hatte ich mir noch Gedanken gemacht über die Reise, nun habe ich sie schon hinter mir, und ich fliege meiner Gegenwart entgegen. Irgendwie kommt es mir vor, als würde ich in eine andere Zeit fliegen. Mal sehen. In Moskau werden wir wie versprochen von einem Mitarbeiter Igors abgeholt und zum Renaissance-Hotel gebracht, ein 5 Sterne Haus. Hm, man gönnt sich ja sonst nichts, aber richtig wohl fühle ich mich in diesem Prunk nicht. Ich kann mich schlecht an den Komfort hier gewöhnen, in meinen Gedanken bin ich noch auf dem Schiff und bei der Crew, und vor allen Dingen: in der Descent Capsule!
Ich komme mir vor, als wäre ich 4 Monate da gewesen. So viele neue Eindrücke, jeden Tag etwas Neues, fast zu viele Eindrücke!
Ich schalte das TV Gerät an und sehe, Kanal 1 ist RTL Deutsch. Ich wähle es aus und sehe zum ersten Mal Bilder aus New York, die ich noch nicht gesehen hatte! Scheiße, denke ich, da war doch was!
Ich sehe immer und immer wieder die Aufnahmen von den Flugzeugen, die in die Zwillingstürme rasen, Staub- und Aschewolken in den Straßen von Manhattan und Menschen, die schreiend weglaufen, um irgendwo dem Chaos zu entkommen! Es entwickelt sich in mir ein Hass auf das alles! Ich werde wütend und könnte mit dem Fuß in den Fernseher treten, beherrsche mich jedoch. Bringt nix!
Irgendwann an den letzten Tagen hatte ich zu Hause angerufen und Astrid erzählte mir was von „Mobilmachung“! Ed und ich schauten manchmal russisches TV abends, wenn mal Zeit war, aber dort war nicht viel davon zu sehen. Ed meinte dazu „Well, it seems that the Russians saying, that this all is the problem of the other nation!“
Obwohl, wenn ich richtig darüber nachdenke, wurde ein sehr hoher Luftwaffengeneral früh morgens irgendwann die Tage vorher abgeholt, als ich auf dem Balkon meines Zimmers saß. Später stellte sich dann heraus, dass eben dieser General der Kommandeur der Raketen-Truppe der Roten Armee ist und man Moskau auf einen solchen Anschlag vorbereitet hatte. Irgendwie. Also ging das noch nicht so am Kreml vorbei, und man holte ihn aus seinem Sommerurlaub zurück.
Gegen 2.30 Uhr am Dienstagmorgen schlafe ich ein ...
Dosbedanja, Russia – 18.09.2001
Morgens machen wir mit Natalia (sie ist Lufthansa-Repräsentantin in Moskau) eine kurze Moskau-Stadtbesichtigung: Metro fahren in Moskau und zum Roten Platz! Ich bin überwältigt!
Gegen 14.30 Uhr Ortszeit sitzen Michael und ich im Flieger und fliegen in Richtung Heimat, wo wir gegen 16.00 Uhr landen. Und dann, bin ich zurück.
Ich brauche bestimmt einige Tage oder sogar Wochen, bis ich diese Erfahrungen der letzten Tage verarbeitet habe. Es war wie eine Wiedergeburt für mich!
Als Wrack mit Tausenden Gedanken nach Russland, gestärkt zurück. Es war das härteste, anstrengendste und beste Erlebnis meines Lebens. Dosbedanja, Russia – Dosbedanja, Igor und Crew – Dosbedanja Descent Capsule! Ich werde diese Tage bis an mein Lebensende nicht vergessen!
Nachtrag
Wer hätte gedacht, dass aus dieser Geschichte etwas Besonderes wachsen würde und das ich in Igor einen meiner besten Freunde finden würde? Ich erinnere mich noch gut, als mein Training verschoben worden ist, dass wir belanglos über „Space Geschäfte“ sprachen, aber das war eher belanglos und wir sprachen über Dinge, die möglich sein könnten da sie von anderen angeboten wurden seinerzeit. Und nicht weit in der Zukunft liegend, wurden die Möglichkeiten dann Realität.
Von Andreas P. Bergweiler (D) - Sea Survival Training - September 2001
Andreas P. Bergweiler
Sea Survival for Cosmonauts
September 2001