Alexander Gerst macht meinen Job! | Space Affairs

Alexander Gerst macht meinen Job!

Space Affairs Expedition Soyuz MS-09

Alexander Gerst macht meinen Job!

Space Affairs Expedition Soyuz MS-09

von Dr. Steffen Sandhöfner (D) Juni 2018

Article Header Als ich am 02.06.2018 morgens die Haustüre abschließe, bin ich gespannt und voller Erwartungen. Lange vorher haben die Vorbereitungen begonnen, denn für mich sollte es nicht einfach nur eine Tour nach Baikonur werden, nein, ich wollte unbedingt Alexander Gerst zur ISS fliegen sehen. Nachdem ich aus gesundheitlichen Gründen das Astronauten-Auswahlverfahren der ESA im Jahr 2008 quasi nur außer Konkurrenz verfolgen konnte, war es für mich wichtig, den zu sehen, auf den letztendlich die Wahl gefallen ist. Dass die ESA damals eine ausgesprochen gute Wahl getroffen hatte, ist ja spätestens seit seiner ersten Mission 2014 hinlänglich bekannt!

Article ImageSoyuz MS-09 Roll-Out am frühen Morgen

Was an dieser Stelle wichtig zu erwähnen ist: viel an Vorbereitung war es für mich persönlich nicht, denn alles an Organisation wurde ja durch Andreas von Space Affairs übernommen und ich wurde in regelmäßigen Abständen über den Stand der Dinge informiert. Obwohl wir uns bis zum Abreisetag noch nie persönlich getroffen hatten, sondern ausschließlich über Email und Telefon kommuniziert hatten, fühlte ich mich perfekt betreut zu jeder Zeit gut aufgehoben.

Trotz größter Anstrengungen konnte die Deutsche Bahn letztendlich doch nicht verhindern, dass wir alle pünktlich am Check-In Schalter in Frankfurt eingetroffen sind. Fünf Raumfahrtbegeisterte mit den unterschiedlichsten Lebensläufen, eine wirklich sehr interessante Reisegruppe. Jeder hatte viel zu erzählen und so sind wir innerhalb kürzester Zeit zu einer eingeschworenen Gruppe geworden.

Als wir nach drei Stunden Fahrt durch die Steppe das nördliche Eingangstor in die Stadt passieren, kann ich es kaum fassen. Wir sind da, ich bin wirklich da, angekommen in Baikonur. Was nun folgt, das Einchecken in das Hotel, ist auf einer normalen Reise reine Routine bzw. lästige Pflicht. Nicht so, wenn man in Baikonur in das Hotel „Sputnik“ eincheckt. Egal, wo man in der Lobby hinschaut, überall zeugen Bilder von der russischen Raumfahrtgeschichte. Immer wieder öffnet sich die Eingangstüre, ehemalige Kosmonauten kommen vorbei und beziehen eines der Zimmer nebenan. Es dauert eine ganze Weile, diese Eindrücke wirklich zu verarbeiten.

Article ImageSoyuz MS-09 auf dem Weg zur "Gagarinsky start" Pad No#1

Die erste Stadtführung folgt direkt nach dem Einchecken und frischmachen. Baikonur, die Stadt voller Monumente, zu viele, als dass man alle auf einer einzigen Stadtführung sehen könnte. Auch wenn wir alle von der Anreise ein wenig müde sind, dies ist ein entscheidender Teil am Anfang des Aufenthalts, denn anschließend haben wir alle einen Eindruck von der Stadt und vor allem von der Mentalität der Menschen. Spätestens nach diesem Stadtrundgang fühlen wir uns bereits als Teil des Ganzen. Dieses Gefühl, ein Teil zu sein, und nicht nur das Geschehen von außen zu betrachten, wird uns nicht mehr loslassen und machte diese Reise zu etwas ganz Besonderem. Möglich ist das nur hier, in Baikonur, gerade weil hier nichts auf Tourismus ausgelegt ist.

Auf zum Roll-Out am kommenden Morgen. Schon die Hinfahrt ist beeindruckend, denn es geht hinein ins Kosmodrom, vorbei am Sauerstoffwerk bis dann, nach über 30min Fahrt, der Bus auf das „Progress“-Gelände abbiegt. Die Sonne ist gerade über der Steppe aufgegangen als die Soyuz direkt an uns vorbeirollt. Nur wenige Meter trennen uns von der Rakete und viel zu schnell ist sie schon vorbei. Zum Glück gibt es noch eine Stelle auf dem Weg zum Startplatz, wo die Schienen die Straße queren müssen. Keine Frage, dass wir uns dort rechtzeitig positioniert haben, um sie noch ein zweites Mal aus nächster Nähe sehen zu können. Das Ziel der Bahnfahrt ist schon zu erkennen, denn ab jetzt fährt der Zug schnurgerade bis hin zum Startplatz „Gagarin Start“.

Article ImageSoyuz MS-09 aufgerichtet auf "Gagarinsky start" Pad#1

Wir kommen dort kurz nach der Rakete an, hier ist zum ersten und einzigen Mal auf dieser Reise eine Absperrung mit Gittern zu sehen. Klar, zum Aufrichten brauchen die Arbeiter freie Bahn, trotzdem ist die Absperrung nicht weit gefasst, wir sind keine 20m weg vom Geschehen und verfolgen gebannt das Aufrichten. Die Zeit, die uns ab jetzt bis zum Start zwei Tage später verbleibt, hat Andreas vollgepackt mit Besuchen von beeindruckenden Stationen der russischen Raumfahrtgeschichte. Es bleibt fast keine Zeit zum Verschnaufen; aber wer will an einem solchen Ort schon verschnaufen! Wir jedenfalls nicht!

Viel zu schnell vergeht die Zeit, die Speicherkarten sind vollgepackt mit Bildern der letzten Tage und schon ist der Starttag da. Es wird ein Start bei Tageslicht werden, geplant für ca. 17Uhr Lokalzeit. Zur Verabschiedung der Crew durften wir jetzt das Kosmonauten Hotel betreten. Wir sind dort die ganzen letzten Tage schon so häufig vorbeigekommen, denn es liegt nur wenige Gehminuten vom Hotel Sputnik entfernt. Auf dem Weg zum Abendessen haben wir jedes Mal versucht einen Blick auf die Kosmonauten zu erhaschen. Vergeblich, denn die Quarantäne ist streng! Wenn heute die Kosmonauten aus der Tür kommen, muss der Fotoapparat bereit sein, denn den kurzen Weg zum Bus legen sie in Rekordzeit zurück! Ein kleiner Hinweis wird durch die Hymne der Kosmonauten gegeben, sobald diese erklingt, geht es los.

Article ImageDie Soyuz MS-09 Crew: Serena Auñón-Chancellor, Sergey Prokopyev und Alexander Gerst - Energia Pad#34

Kaum ist der Bus abgefahren, steht uns der Garten zur freien Verfügung. Wir laufen zur Allee der Kosmonauten. Es ist einer der Höhepunkte der Reise. Jeder Kosmonaut, der jemals aus Baikonur geflogen ist, ist dort mit einem Baum verewigt. Inzwischen ist eine sehr stattliche Allee entstanden, aber wir konnten uns davon überzeugen, dass noch genug Platz für viele kommende Kosmonauten Generationen vorhanden ist. Ein Selfie mit dem Baum von Alexander Gerst musste sein, ohne dieses wäre ich keinesfalls gegangen. Auch der Baum von Juri Gagarin landet auf der Speicherkarte! Das Highlight schlechthin ist der aber Blick vom Ende der Allee über das Modell der Soyuz hinweg in die Weite der kasachischen Steppe. Oft habe ich mir diese Stelle schon in Google-Maps angesehen, ich bin fassungslos, jetzt stehe ich hier, ganz allein mit meinen Eindrücken, denn der Rest der Besucher bewegt sich schon langsam zurück zum Ausgang.

Ich trete von einem Bein auf das Andere, ich kann meine Unruhe nicht verbergen. Wir stehen auf dem Parkplatz, angekommen am Beobachtungsort für den Start. Wir können noch nichts sehen, denn ein Gebäude befindet sich noch zwischen uns und dem Aussichtspunkt. Alle um mich herum essen in Ruhe ihr Lunchpaket! Geht´s noch? Wie könnt Ihr denn in Seelenruhe belegte Brötchen futtern? Ich will jetzt sofort die startbereite Rakete sehen! Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, setzen wir uns in Bewegung. Für mich ist es so, als kommen wir gerade noch rechtzeitig an, in Wirklichkeit ist noch über eine Stunde Zeit bis zum Start. Tja, ich glaube so etwas nennt man Vorfreude!

Die Stunde Wartezeit vergeht wie im Flug und dann passiert es: 15 Sekunden vor dem Start schwenkt der letzte Versorgungsarm zur Seite, frei steht sie da, nur noch gestützt von den vier Haltearmen, die Soyuz MS-09 ist bereit zum Start. Die Anspannung aller hier am Aussichtpunkt wird förmlich greifbar. Die Triebwerke erwachen und noch bevor sie abhebt, erreicht uns das Donnern der 26 Millionen PS. Keine 1,2km vom Startplatz entfernt werden die nächsten Sekunden zu einem Erlebnis für alle Sinne!

Die Atmosphäre der folgenden Minuten ist mit Worten nicht zu beschreiben. Die Rakete ist außer Sicht, der Startplatz ist leer, der Rauch hat sich verzogen aber die Anspannung bleibt. Alle wissen, erst nach 9 Minuten ist die heikle Phase des Starts wirklich überstanden. So warten wir auf die erlösende Durchsage – erst als diese kommt, löst sich die Anspannung. Ein Blick in die Gesichter der Familien der Kosmonauten als auch in die der Mitarbeiter von Roskosmos offenbart den persönlichen Moment, dem wir hier gerade beiwohnen durften.

Article ImageDie Unterschriften der Soyuz MS-09 Crew

Mit diesen Eindrücken im Kopf ist es mir ein Anliegen, nochmals Danke zu sagen an Andreas, an Alla und an Galina, die mit ihrer Arbeit im Vorfeld und mit ihrer Betreuung vor Ort diese Reise zu etwas ganz Besonderem gemacht haben!

Dr. Steffen Sandhöfner – Soyuz MS-09 Expedition Juni 2018


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Steffen bewarb sich in 2008 bei der ESA um dem Astronauten-Korps beizutreten, wurde leider jedoch nicht ausgewählt.
10 Jahre später stand er am Gagarinsky Launch Pad und konnte beobachten, wie Alexander Gerst zu seiner zweiten Mission aufbrach, er meinte dazu: „Der macht nun meinen Job!“.

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